Die Sammlung präsentiert die Materialien der internationalen wissenschaftlichen Konferenz, die vom 28. bis 30. September 2020 in Moskau mit finanzieller Unterstützung der Stiftung Geschichte des Vaterlandes anlässlich des 75. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkriegs und des Großen Vaterländischen Krieges stattfand. Ziel der Konferenzorganisatoren war es, den aktuellen Stand der Forschung zu verschiedenen Aspekten der Ereignisse der Jahre 1941–1945 an der Front und in der Heimat zu analysieren und Perspektiven für die zukünftige Kriegsforschung im Kontext gegenwärtiger wissenschaftlicher Entwicklungen aufzuzeigen.

Besonderes Augenmerk richteten die Konferenzteilnehmer auf zentrale Themen wie die Eskalation von Gewalt und Zwangspraktiken während des Krieges, die Konfrontation zwischen Wirtschaft, militärischer Ausrüstung und Technologie, das Verhältnis von Mensch und Krieg sowie auf sozial- und kulturgeschichtliche Fragestellungen im Zusammenhang mit dem Krieg.

Eine Massenarmee ist stets ein Spiegelbild der Gesellschaft, aus der ihre Soldaten stammen. In diesem Sinne bildete auch die Rote Armee keine Ausnahme¹²². Zahlreiche interethnische Spannungen sowie ethnische Stereotypen und Vorurteile wurden – ungeachtet der offiziellen Propaganda des Internationalismus – in den militärischen Kontext übertragen. In der Forschung werden Stereotype klassischerweise in positive und negative unterteilt. Erstere erzeugen ein positives Bild eines Volkes (etwa: „Georgier sind herzlich“), während letztere zu einem fest verankerten negativen Eindruck führen. Diese Bilder werden unkritisch übernommen und auf alle Vertreter eines Ethnos projiziert. Unter den extremen Bedingungen des Krieges, geprägt von physischem und psychischem Dauerstress, suchte man bei Rückschlägen häufig nach Sündenböcken – wodurch ethnische Stereotypen in einer multiethnischen Gesellschaft zu einem ernstzunehmenden Problem wurden.

Ein zentrales Ziel negativer Emotionen waren von Beginn des Krieges an die Juden. Dies war keineswegs nur für die Ukraine typisch, wo die jüdische Bevölkerung zahlreich war und Antisemitismus weit verbreitet, sondern auch für viele andere Regionen der Sowjetunion. Wladimir Gelfand, selbst jüdischer Herkunft und ein Mann mit gefestigter sowjetischer Identität, reagierte schmerzlich auf jegliche Erscheinungsformen von Antisemitismus. Am 23. Oktober 1941, während seiner Ausbildung an einer Offiziersschule im Nordkaukasus, hielt er in seinem Tagebuch fest:

*„Auf der Straße, im Park, beim Bäcker, in der Petroleumschlange – überall hört man ein Flüstern. Ein Flüstern, das schrecklich, lächerlich und doch voller Hass ist. Es geht um die Juden. Man spricht leise, schaut sich dabei ängstlich um. ‚Juden sind Diebe.‘ – ‚Eine Jüdin hat einen Pelzmantel gestohlen.‘ – ‚Juden haben Geld.‘ – ‚Eine hatte 50.000 Rubel, aber klagte über Not und sagte, sie sei barfuß.‘ – ‚Ein Jude hat noch mehr, aber behauptet, er verhungere.‘ – ‚Juden arbeiten nicht.‘ – ‚Sie wollen nicht in der Roten Armee dienen.‘ – ‚Sie leben ohne Registrierung.‘ – ‚Sie sitzen uns auf dem Kopf.‘ Kurzum: Juden seien an allem schuld. Ich höre all das ständig – mein Aussehen und meine Sprache verraten mich nicht als Juden… Aber trotzdem: Ich mag diese Kosaken nicht, mit wenigen Ausnahmen. Die Ukrainer sind weniger antisemitisch. Die Russen aus dem Westen – aus Moskau, Leningrad – noch weniger. Ich verstehe nicht, wie man so grausam, herzlos und furchtlos sein kann wie ein nordkaukasischer Kosake. Bei der politischen Schulung erzählen die Kameraden ganz offen, sogar in Anwesenheit der Offiziere, wie die Juden bei einem Luftangriff auf Mineralnye Wody in Panik gerieten, schrien, rannten und mit Gegenständen warfen. Eine Jüdin habe verzweifelt die Hände in die Luft geworfen und geschrien. Die Zuhörer lachten. Keiner unterband diese dreiste antijüdische Propaganda. Ich hatte Mitleid mit den Juden. Wut schnürte mir die Kehle zu, aber ich wagte kein Wort – ich wusste, es würde sie nur noch wütender machen und neue Spottwellen gegen mich auslösen.“¹²³

Diese Passage zeigt nicht nur, wie sich der Antisemitismus mit Ausbruch des Krieges auch an der „Heimatfront“ zuspitzte, sondern offenbart auch den Zerfall der zuvor bestehenden, komplexen Struktur interethnischer Beziehungen. Bemerkenswert ist, dass antisemitische Aussagen zunächst noch als unangebracht galten, dann aber zunehmend unverhohlener geäußert wurden.

Es sei darauf hingewiesen, dass solche Äußerungen auch durch Propagandaorgane gespiegelt wurden. So berichtete im Herbst 1941 M. Schamberg, stellvertretender Leiter der Abteilung für Organisationsinstruktion beim Zentralkomitee der KPdSU, in einer Informationsmitteilung an die ZK-Sekretäre von antisemitischen Vorfällen in Evakuierungsgebieten, insbesondere im Nordkaukasus. Er schlug vor, der Bevölkerung zu erklären, dass Antisemitismus dem sowjetischen System fremd sei, und die Urheber solcher Äußerungen vor Gericht zu bringen¹²⁴.

Auch innerhalb der Armee wurde Gelfand unmittelbar mit Antisemitismus konfrontiert. So notierte er am 5. April 1943:

*„Karymov. Kein Russe, aber Antisemit und Chauvinist. Ein ähnlicher Typ wie Senka – ein Jude aus der Produktion –, der zusammen mit russischen Antisemiten über Juden lachte, sie verhöhnte und aus Eigennutz sein eigenes Volk verleugnete. Solche Leute werden gemocht, sie haben Glück. Senka zum Beispiel: Er machte sich über Juden lustig, alle lachten – und sie liebten ihn dafür. Ich sage und beweise immer wieder: Kein Volk ist als Ganzes schlecht. Aber es gibt Menschen – ja, vielleicht viele – mit schlechten Eigenschaften, und sie können einer bestimmten Ethnie angehören. Ich wurde widersprochen, gehasst deswegen. Ein Ukrainer erklärte voller Zustimmung anderer, die Ukrainer seien Feiglinge und Verräter, die meisten seien zu den Deutschen übergelaufen. Ich hielt dagegen: Wenn es 40 Millionen Ukrainer gibt, wären bei einer solchen Logik 20 Millionen übergelaufen – war das wirklich so? Ich war bereit, gehasst zu werden, weil ich dagegenhielt. Und dann: Karymov. Er war dort Wachposten, ich stellvertretender Politoffizier. Plötzlich sprachen sie schlecht über den Stabschef. ‚Ein Jude‘, sagte jemand (obwohl er Russe war). – ‚Juden sind alle Schurken‘, sagte Karymov. ‚Auch im Lazarett sind sie. Die haben mich entlassen, obwohl meine Wunde noch nicht verheilt war. Wo es gut ist, gibt es Juden – Juden und Jüdinnen. Kein Wunder, dass die Deutschen sie erschießen. Abgam ist auch bei uns‘ – und zeigte auf mich. Ein anderer meinte: ‚Der war ja noch gar nicht an der Front – gleich ins Lazarett, der Feigling.‘ Das tat weh. Ich brüllte: ‚Warum nennst du mich einen Mistkerl, du Idiot? Auf welcher Grundlage?‘ – Er zog sich zurück. Ich hörte, man solle sein eigenes Volk nicht verteidigen, sonst sei man Nationalist. Also sagte ich: ‚Wisst ihr, welcher Nation ihr angehört?‘ – ‚Welche?‘ – ‚Der sowjetischen! Mich interessiert nicht, welcher Nationalität jemand ist. Mich interessiert, was für ein Mensch er ist. Das ist das Entscheidende. Und wenn Karymov seine eigene Herkunft verleugnet und sein Volk beschimpft – für mich ist das Verrat. Es gibt keine schlechten Nationen – es gibt nur Menschen, die durch ihre Haltung ihr Volk verleumden.‘ Einige Usbeken, Kasachen und Russen unterstützten mich. Der Rest: ein Aufschrei, buchstäblich...“*¹²⁵

Der obige Auszug ist in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich. Erstens rückt er die Figur eines Anti-Helden in den Vordergrund – einen unbekannten Ukrainer, der trotz seiner eigenen Herkunft alle Ukrainer pauschal als Verräter bezeichnet. Gelfand beschreibt einen ihm bekannten Juden namens Senka auf ähnliche Weise – als jemanden, der sich über sein eigenes Volk lustig macht. Hier zeigt sich ein klassisches Beispiel negativer ethnischer Identität: Ein Angehöriger einer ethnischen Gruppe entwickelt eine ablehnende Haltung gegenüber der eigenen ethnischen Zugehörigkeit. Für das Entstehen eines solchen Phänomens können unterschiedliche Ursachen verantwortlich sein, darunter auch persönliche psychologische Motive. Im Fall des ukrainischen Soldaten könnte seine Haltung in einer tiefen Enttäuschung über die Tatsache gründen, dass manche Ukrainer unter der Besatzung mit den Nationalsozialisten kollaborierten. Auffällig ist jedoch, dass er dabei Vertreter anderer Völker (einschließlich der Russen), die ebenfalls mit dem Feind kollaboriert hatten, ausblendet. Gelfand deutet diese Haltung als Anpassungsstrategie an ein soziales Umfeld, in dem genau dieser Typus Anerkennung erfährt, weil er die negativen Stereotype über seine eigene Gruppe scheinbar bestätigt.

Zweitens ist die Figur Karymovs bemerkenswert. Er äußert klassische antisemitische Klischees – etwa, dass sich Juden dem Frontdienst entziehen oder der Armee sogar schaden wollten. Ein bekanntes Schlagwort in der Truppenwahrnehmung dieser Zeit lautete „Kämpfer der Taschkenter Front“ – eine zynische Anspielung auf die angebliche vollständige Evakuierung der jüdischen Bevölkerung nach Zentralasien, wo diese die Kriegszeit sicher überstanden habe. Bemerkenswerterweise scheint Karymov – wie Gelfand andeutet – selbst jüdischer Herkunft zu sein, vermutlich ein Vertreter der Bucharischen Juden.

Drittens ist Gelfands eigenes Argumentationsmuster besonders hervorzuheben. Er empfindet Unbehagen darüber, als Jude Juden verteidigen zu müssen, da dies für ihn den Verdacht des Nationalismus aufkommen lassen könnte. Daher greift er auf ein übergeordnetes Argument zurück: Alle seien Angehörige der „sowjetischen Nation“. Diese Aussage ist aus mehreren Gründen interessant. Sie belegt nicht nur die Existenz eines sowjetischen Identitätsbewusstseins, sondern offenbart auch dessen strukturelle Logik: Das Sowjetische fungiert als übergeordnete, vereinigende Zugehörigkeit – als eine Art „pyramidale Identität“, in der die spezifischen nationalen Identitäten nicht aufgehoben, sondern überformt werden. In diesem Sinn wird die sowjetische Identität als wirksames Mittel gegen nationalistische Feindbilder präsentiert. Interessant ist auch die soziale Reaktion: Gelfands Argumentation findet Unterstützung bei Kasachen und Usbeken – Gruppen, die selbst häufig Ziel ethnischer Stereotype waren. Dass er ausdrücklich „einige Russen“ erwähnt, lässt darauf schließen, dass er sich breitere Zustimmung erhofft hätte.

Teilweise lassen sich die kursierenden negativen Gerüchte über Juden auch mit der stillschweigenden Zensur der offiziellen Berichterstattung über die Einberufung von Juden zum Militärdienst erklären. Diese Entscheidung beruhte vor allem auf dem Bestreben, der nationalsozialistischen Propaganda keinen Vorschub zu leisten, die behauptete, die Rote Armee werde von „jüdischen Kommissaren“ kontrolliert. Dennoch betrachteten Vertreter des Jüdischen Antifaschistischen Komitees diese Zurückhaltung als ungerecht und letztlich sogar als förderlich für die antisemitische Propaganda der Deutschen¹²⁶.

Neben dem Antisemitismus begegnete man in der Roten Armee häufig auch ablehnenden oder herabwürdigenden Haltungen gegenüber Soldaten nicht-slawischer Herkunft. Diese Einstellung beruhte vielfach auf einer grundsätzlichen Geringschätzung nicht-russischer Kulturen. Zahlreiche Offiziere zweifelten offen an der Kampftauglichkeit sogenannter „Nationalitäten“. So schrieb ein Offizier der Nachrichtenabteilung des Hauptquartiers der 383. Schützendivision der Schwarzmeergruppe im Januar 1943 über Rekruten aus Aserbaidschan:

*„Unsere Division hat Rekruten aus Aserbaidschan erhalten… Aber sie sind nur in ihrem Aul am Herd Soldaten. Sie sterben oft – und sterben umsonst. Man kann sagen: aus eigenem Antrieb. Ein typisches Beispiel: Ein kräftiger ‚Yeldasch‘ liegt unter einem Baum und friert. Zwanzig Meter entfernt steht eine beheizte Hütte. Ich spreche ihn an: ‚He, Freund, warum liegst du da?‘ – ‚Arzhiberzhan.‘ – ‚Steh auf, du frierst ja!‘ – ‚Arzhiberzhan.‘ Ich versuche, ihn hochzuziehen – er klammert sich am gefrorenen Boden fest: ‚Arzhiberzhan‘.“*¹²⁷

Ähnliche Beobachtungen finden sich in den Erinnerungen von B. G. Tartakowski:

*„Sie [die Aserbaidschaner – V.T.] galten unter den Soldaten nicht nur als kampfuntauglich und für das Klima ungeeignet, sondern auch als Personen, die bewusst versuchten, sich jeder Anstrengung zu entziehen – selbst kurzfristig. Ich selbst war mehrfach Zeuge, wie gesunde Kämpfer – fünf oder sechs Mann – einen Verwundeten aus der Einheit zur Rückfront begleiteten, laut wehklagend wie Frauen bei einem Dorffuneral. Solche Szenen konnten nur Unmut auslösen bei jenen, die durchnässt und frierend im Schützengraben ausharrten.“*¹²⁸

Auch die Wehrmachtsführung stellte die geringe Kampfkraft kaukasischer Soldaten fest. So hielt Erich von Manstein in seiner Einschätzung der Truppen an der Krimfront fest: *„Der Kampfwert des größten Teils der feindlichen Divisionen ist nicht sehr hoch, und einige von ihnen sind durch die Niederlage bei Feodosia reduziert worden. Sie bestehen zu einem großen Teil aus wenig kampfbereiten Kaukasiern und wenig ausgebildeten Soldaten.“*¹²⁹

Einige Kommandeure scheuten sich nicht, nicht-slawische Einheiten gezielt in verlustreiche Gefechte zu schicken, um slawische Truppen zu schonen. So äußerte sich der Kommandeur einer Kavallerieeinheit der Südfront im April 1942 offen: *„Sollen sie doch von den Panzern zermalmt und vom Feind erschossen werden – wir gehen besser zurück und sammeln uns. Kosaken und Russen müssen wir erhalten, sie werden uns noch brauchen.“*¹³⁰

Selbst gegenüber Ukrainern herrschte Misstrauen – auch auf höchster Ebene. Als L. Z. Mehlis Anfang 1942 Nachschub für die Krimfront forderte, machte er unmissverständlich klar, dass dieser ausschließlich aus Slawen bestehen müsse. A. M. Vasilevsky versprach zwar die Entsendung von 15.000 Russen oder Ukrainern, doch Mehlis präzisierte: *„Ich verlange, dass der Nachschub russisch ist – nicht ‚einer von beiden‘.“*¹³¹ Diese Maßnahme konnte die Niederlage auf der Krim jedoch nicht verhindern – eine Niederlage, die Mehlis mitverschuldet hatte.

Oftmals befürchteten Kommandeure, „nationale Minderheiten“ könnten zu nationalistischer Gesinnung neigen.¹³² Dies sollte durch gezielte Propaganda sowjetischer Werte ausgeglichen werden. Infolgedessen wurden Angehörige nicht-russischer Völker besonders dazu ermutigt, sich dem Komsomol oder der Partei anzuschließen. Im Dezember 1942 berichtete der Leiter der Agitationsgruppe der GlawPURKKA nach einer Inspektion an der transkaukasischen Front: *„Es ist absolut unzulässig, dass selbst in der Führungsebene und im politischen Apparat die ‚Theorie‘ kursiert, dass Kader nicht-russischer Nationalität angeblich nicht kämpfen können oder wollen – und dies bleibt folgenlos.“*¹³³

Solche Einschätzungen waren häufig Resultat mangelnden Verständnisses für nationale Traditionen. So bestand etwa bei den zentralasiatischen Völkern der Brauch des kollektiven Gebets für Verwundete und Gefallene – auch während laufender Kampfhandlungen. Dadurch bildeten sich oft Gruppenansammlungen, die leicht zum Ziel deutscher Scharfschützen wurden. Der Held der Sowjetunion, Jusek Iwanowitsch Balabucha, erinnerte sich: *„Mit den Usbeken war es schwierig. Wenn einer verwundet wurde, liefen alle in einem Haufen los – direkt auf ihn zu. Und der Deutsche schlug in diesem Moment zu.“*¹³⁴ Auch Arkadi Alexandrowitsch Boreiko berichtete: *„Die 11. Division war gut ... Am meisten Schwierigkeiten bereiteten uns, offen gesagt, die ‚Söhne der Sonne‘ – die Kasachen. Die Usbeken waren besser, am schlimmsten waren die Adscharen. Die Kasachen verhielten sich zunächst gut. Doch dann kam eine Kompanie, zur Hälfte aus Kasachen. Einer wurde verwundet. Er schrie und klammerte sich an einen Busch. Alle versammelten sich um ihn, setzten sich und murmelten etwas. Der Deutsche sah es, schoss – und der Platz war abgedeckt. Die Offiziere rannten mit Nagans, einige schossen sogar, um sie zu zerstreuen.“*¹³⁵

Die Kommandoführung bemühte sich kaum, auf kulturelle Empfindlichkeiten einzugehen. Der Krieg verlangte brutale Mittel. In einem Interview mit einem Teilnehmer der Schlacht von Stalingrad heißt es: *„Sie gaben Nachschub, aber die Leute gingen nicht zum Angriff – Usbeken, die extrem schlecht kämpften. Von dieser Gruppe, die sich weigerte, gingen alle in den Tod: Sie wurden erschossen.“*¹³⁶

Aus den Protokollen der Kommission zur Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges geht ein differenziertes Bild hervor: Viele Kommandeure sahen die Angehörigen nationaler Minderheiten als schwächeres Kontingent, betrachteten es jedoch als ihre Aufgabe, sie an die Armee heranzuführen und auszubilden. Generalleutnant W. I. Tschuikow, Befehlshaber der 62. Armee in Stalingrad, erklärte in einem Interview mit der Kommission: *„Hier waren Vertreter aller Nationalitäten versammelt – keine speziell ausgewählten Einheiten. Natürlich gab es mehr Russen, denn ihre Bevölkerung war größer. Die Russen kämpften am besten, dann die Ukrainer – sogar die Usbeken, obwohl sie nie zuvor gekämpft hatten. In den ersten Tagen weinen sie, doch dann blicken sie zum Russen oder Ukrainer, kämpfen mit ihm – und sterben neben ihm. Das politische Bewusstsein der Soldaten war außergewöhnlich.“*¹³⁷

Ein bemerkenswertes Beispiel für sorgfältige und einfühlsame Arbeit mit sogenannten „nicht-russischen“ Truppenteilen bietet das Interview mit dem Helden der Sowjetunion, Nikolai Sidorowitsch Bevz (1924–1995):

„Ich hatte eine multinationale Einheit mit Kasachen, Usbeken, Ukrainern, Russen, Tataren – hauptsächlich Kasachen und Russen. Die Kasachen verstanden kaum Russisch, und mein Ziel war es, sie zu einer geschlossenen Einheit zu formen, die ich im Gefecht führen konnte. Ich hatte einen Kasachen namens Zhenaulov, Parteimitglied und ehemaliger Vorsitzender einer Kolchose. Er sprach gut Russisch. Ich wählte ihn als Dolmetscher aus und führte mit ihm zusammen politische und pädagogische Arbeit unter den kasachischen und usbekischen Soldaten durch. Anfangs war es schwierig. Wenn ein Kampagnenblatt herausgegeben wurde, geschah dies nur unter meiner Mitwirkung – ich bestimmte die Inhalte selbst.

In jedes Flugblatt ließ ich ein Beispiel eines Kasachen aufnehmen, der gut Russisch sprach. Ich nahm das Blatt und setzte mich zu ihnen. Sie saßen um mich herum – wie es ihrer Gewohnheit entsprach – mit angezogenen Beinen. Ich achtete darauf, ihre Sitten nie zu verletzen und bemühte mich, ihre Bräuche zu verstehen. Ich führte viele Gespräche mit Zhenaulov, der mir erzählte, wie die Kasachen den Krieg sehen. Er war um die vierzig Jahre alt und erklärte, dass es in ihrer Kultur üblich sei, sich im Kreis zu versammeln und gemeinsam Tee zu trinken. Kasachen leben in Freundschaft, helfen einander in Notlagen. Wird ein Kasache beleidigt, stellen sich alle auf seine Seite.

Ich trank mit ihnen Tee, las die Flugblätter vor, Zhenaulov übersetzte, und sie diskutierten untereinander. Ich stärkte gezielt Zhenaulovs Ansehen, indem ich ihn als Parteimitglied hervorhob. Einmal sprangen alle Kasachen auf und tanzten um ihn, um ihre Loyalität zu zeigen. Ich führte keine Besprechung ohne ihn. Alles, was ich über ihn sagte, galt ihnen als Gesetz. Ich hatte ihn gefördert, und er arbeitete mit ihnen. Hätte ein Russe mit ihnen gearbeitet, hätten sie wenig verstanden – aber Zhenaulov erklärte alles, und sie begriffen, worum es ging. Danach hatten sie großes Vertrauen zu mir. Sie gingen für mich durch Feuer und Wasser. Zhenaulov erzählte ihnen viel über mich, sowohl Gutes als auch Kritisches, und ich hörte zu. Auf diese Weise gewann ich ihr Vertrauen.“

„Einmal bemerkte ich, dass ein Kasache, Mambitaliev, mit gesenktem Kopf herumlief. Seine Familie lebte in Not, hatte keine Schafe mehr, kein Brot, sieben Kinder. Ich ließ ihn rufen, sprach mit ihm über Zhenaulov, diktierte ihm einen Brief an den Vorsitzenden der Kolchose in seiner Heimat. Ob der Brief ankam, weiß ich nicht. Aber allein die Hoffnung auf Hilfe baute ihn wieder auf.

Ich begriff: Man muss diese Menschen sensibel behandeln, ihre Lebensumstände kennen. Sie befinden sich in einer fremden Umgebung, die Sprache ist ihnen fremd. Wenn man von ihnen verlangt, was man von Russen erwartet, sind sie überfordert. Wenn man sie beleidigt, werden sie es tief empfinden. Aber wenn man sie versteht und ihnen hilft, werden sie einem ewig dankbar sein.“

Diese Schilderung zeigt exemplarisch, wie erfolgreiche Integration und effektive Führung eines multinationalen Kontingents in der Roten Armee möglich war. Dennoch muss betont werden, dass der Fall Bevz eine Ausnahmeerscheinung darstellt. Eine vergleichbare Sensibilität im Umgang mit Angehörigen nicht-russischer Nationalitäten war in der Regel nicht gegeben. Zahlreiche Berichte und Interviews belegen eher ein geringes Vertrauen in die Kampfqualitäten dieser Truppen, was indirekt auf mangelnde Integrationsstrategien und unzureichende politische Arbeit hinweist.

Gerade der Politoffizier war – wie das Beispiel Bevz deutlich zeigt – ein unverzichtbares Bindeglied für die erfolgreiche soziale und militärische Integration der „Nationalen“ in der aktiven Armee. Der zentrale Mechanismus dieses Integrationsmodells bestand darin, eine autoritätsstarke Vertrauensperson aus dem Kreis der Soldaten zu identifizieren, die sowohl über Sprachkenntnisse als auch über soziales Kapital verfügte. Diese Person übernahm eine Schlüsselrolle in der Kommunikation, Erziehung und Motivation. Der politische Führer musste seinerseits die kulturellen Eigenheiten der betreuten Gruppe verstehen und achten. Für zentralasiatische Soldaten war beispielsweise ein Raum wie das Teehaus essenziell – als Rückzugsort, Diskussionsforum und Ort politischer Bildung. Bevz fungierte hier nahezu als weltlicher „Mufti“, dem Respekt und Gehör geschenkt wurde.

Durch gezielte Öffentlichkeitsarbeit – etwa durch Hervorhebung einzelner erfolgreicher Soldaten in den Flugblättern – wurde das Ansehen dieser Soldaten gesteigert. In dem Maße, in dem sich die kulturelle Integration und gegenseitige Anerkennung verstärkte, stieg auch die Kampfmoral und Effektivität der Truppe signifikant.

In einem ähnlichen Stil arbeitete die 110. Division, die an den Kämpfen in der Nähe von Moskau teilnahm. Alexander Dmitrijewitsch Korolev, Leiter der politischen Abteilung, Oberkommissar des Bataillons, erzählt die Geschichte:

„Wir hatten während der Schlachten und in den Verteidigungslinien Verstärkung. Wir haben verschiedene Formen der Arbeit mit der Verstärkung genutzt. Die Arbeit mit den Einheimischen ist sehr typisch. Jakuten kamen zu uns, mit ihnen begann der politische Offizier Litsukov zu arbeiten. Durch Einzelgespräche mit den Soldaten fand er heraus, dass einer von ihnen Russisch sprach, und organisierte ein Kampfblatt in jakutischer Sprache und ließ diesen Einheimischen schreiben. Durch das Kampfblatt begann er, diejenigen, die im Kampf erfolgreich waren, zu popularisieren. Das wirkte sich positiv auf die Kämpfer aus, und die Kameraden fragten den politischen Offizier täglich: ‚Wann wird unser Kampfblatt wieder herausgegeben und wann werde ich in unserem Kampfblatt erscheinen?‘. Diese Initiative wurde von der Propagandaausbilderin Mozharskaya aufgegriffen. Man begann, Porträts hervorragender Soldaten zu zeichnen und sie in der Zeitung bekannt zu machen, und viele von ihnen schlugen sich gut. Die Erfahrungen, die das 1. Regiment in der Arbeit mit den Einheimischen machte, brachten große Erfolge. Sie begannen mit der Herausgabe von Kampfflugblättern in tatarischer Sprache und in anderen Nationalitäten. Das wirkte sich positiv auf die Erziehung der Kämpfer aus.“¹³⁹

Paradoxerweise war die Propaganda in den lettischen Verbänden, insbesondere in der berühmten 201. „Lettischen Division“, etwas besser als bei anderen „Staatsbürgern“. Tatsache ist, dass nach dem Beitritt Lettlands zur UdSSR eine spezielle Schule für die politische Ausbildung eingerichtet wurde. Nach Kriegsbeginn befanden sich viele Hörer dieser Schule in den Reihen der Roten Armee, so dass die politische Arbeit in der Division gut organisiert war. Die Besonderheit der Propaganda unter den Letten war die Betonung der historischen Schuld der Deutschen gegenüber den Völkern der baltischen Staaten. Die deutsche Invasion wurde als Wiederholung der Herrschaft der deutschen Großgrundbesitzer dargestellt. Darüber hinaus wurden die Traditionen der berühmten „lettischen Schützen“ gepflegt.

In der Propaganda- und Agitationsarbeit wurde ein individueller Ansatz begrüßt. So erzählte der Regimentskommissar Petr Dāvidovich Zutis in seinem Interview, wie er den Unterricht unter den politischen Offizieren durchführte: „Aber von all diesen Fragen legte ich den größten Wert auf die Frage des Studiums der Menschen, aber es war offensichtlich, dass dies die neuartigste Frage war. Wir haben also viele Gespräche über dieses Thema geführt.“¹⁴⁰

Im Laufe des Krieges wurde die Division nicht nur mit Letten, sondern auch mit Vertretern anderer Nationalitäten aufgefüllt. In dieser Situation konzentrierten sich die Propagandisten nicht auf die lettischen nationalen Besonderheiten, sondern auf die Traditionen der militärischen Formation, die Herausbildung des Stolzes auf die Zugehörigkeit zu ihr, d.h. auf die militärische Corporate Identity. Der Bataillonskommissar Albert Khristianovich Privert beschrieb diesen Prozess folgendermaßen: „Ich will nur eines sagen, dass alle Leute, die in unserem Regiment waren, ob sie nun Russen, Juden, Weißrussen, Ukrainer oder Letten waren, unsere glorreichen Traditionen des lettischen Regiments auf sie übertragen haben. Es stimmt, wir haben viel an dieser Sache gearbeitet. Selbst als wir am 13. und 16. Januar den ersten Nachschub bekamen, nicht weniger als 1,5 Tausend Mann, die meisten von ihnen Russen, haben wir ihnen erzählt, wie wir im Bürgerkrieg gekämpft haben, wie wir in Freundschaft gelebt haben – alle Nationalitäten. Und ich muss sagen, dass wir auch jetzt hier keine nationale Zwietracht haben, und alle haben schön gekämpft.“¹⁴¹

Trotz großer Schwierigkeiten war die Rote Armee des Großen Vaterländischen Krieges eine wirklich internationale Armee. Und dies ist nicht nur eine Propagandamarke. In den bereits zitierten Tagebüchern Gelfands findet sich der folgende Eintrag (27. November 1943): „Und wir hatten übrigens viele Nationalitäten in der Kompanie: Russen, Ukrainer, Georgier, Armenier, Aserbaidschaner, Juden, Kasachen, Turkmenen, Griechen und sogar einen Türken. Ja, ja, lachen Sie nicht – Vertreter aller Nationalitäten der Sowjetunion kämpfen an den Fronten des Großen Krieges gegen den Faschismus auf Leben und Tod.“¹⁴²

Diese räumliche Nähe führte zu einem Schmelztiegel-Effekt. Eine seiner lebendigen Erscheinungsformen war der Prozess der Akkulturation, bei dem einige Völker die kulturellen Fähigkeiten der anderen übernahmen. Es liegt auf der Hand, dass sich die Akkulturation vor allem auf „nicht-russische“ Völker bezog, die gezwungen waren, sich an die überwiegend slawische Umgebung in der Roten Armee anzupassen, die eher an den Dienst in einer Armee europäischen Typs angepasst war. Wir müssen zugeben, dass dieses Problem bisher nur unzureichend untersucht wurde. Dennoch gibt es eine Reihe von Studien. T. G. Muchtarow hat beispielsweise nachgewiesen, dass der Dienst in der Roten Armee während des Krieges ein wichtiger Faktor für die Anpassung, Akkulturation und sogar Assimilation der Baschkiren war. Seiner Meinung nach „veranlasste die Erkenntnis, dass sie an einem noch nie dagewesenen Krieg zwischen zwei großen Reichen, zwei Zivilisationen, zwei Systemen teilnahmen, die baschkirischen Soldaten dazu, sich enger mit der Kultur zu verbinden, auf deren Seite sie kämpften“. Viele baschkirische Soldaten erhielten einen zweiten, russifizierten Namen, den sie auch in Friedenszeiten beibehielten¹⁴³.

Es gibt aber auch Beispiele für eine umgekehrte Akkulturation, bei der Russen unter extremen Bedingungen nützliche Fähigkeiten anderer Völker übernahmen. So lernten kasachische Soldaten während der Kämpfe um Stalingrad, wie man Weizen röstet, bevor man ihn in einer Situation verwendet, in der er nicht gekocht werden kann¹⁴⁴.

Wir können also sagen, dass die Rote Armee in den Kriegsjahren trotz aller widersprüchlichen Prozesse zu einem riesigen „Schmelztiegel“ wurde. Die Massenmobilisierung brachte Millionen von Soldaten aus verschiedenen Republiken und Regionen des Landes zusammen und ermöglichte es ihnen, aus ihrer lokalen Welt auszubrechen. Die Begegnung mit der militärischen Realität war oft erschreckend. Der Dienst in der Armee erforderte die Aneignung neuer Fähigkeiten. Die Soldaten mussten die Sprache ihrer Befehlshaber – Russisch – verstehen. Die Befehlshaber wiederum mussten die Eigenheiten und Bedürfnisse ihrer Untergebenen verstehen. Die Situation, dass die Armee eine gemischte nationale Zusammensetzung hatte, führte dazu, dass die Vertreter aller Völker der UdSSR diese Armee als ihre eigene wahrnahmen. Und schließlich war die gemeinsame Kampferfahrung von Niederlagen und Siegen ein wichtiger Faktor für die Bildung emotionaler Solidarität.

Die Begegnung von Vertretern verschiedener Nationen und Kulturen fand nicht nur in der Armee, sondern auch an der Heimatfront statt. Massenevakuierung¹⁴⁵ zu den nationalen Republiken trugen ebenfalls zur Intensivierung der Kontakte zwischen den Völkern bei. Ein wichtiges solidarisches Phänomen war die Bewegung zur Adoption von evakuierten Waisenkindern. Sie hatte ihren Ursprung in Usbekistan, das 200.000 Kinder aufnahm. Ein Schmied aus Taschkent, Sh. Shamakhmudov, und seine Familie adoptierten 16 Waisenkinder, und ein Gärtner aus Osh, I. Akhmedov, adoptierte 13 Kinder¹⁴⁶. Und Toktogon Altybasarova (Kirgisische SSR) schützte 150 Kinder vor der Blockade. Aber die gemeinsamen Symbole des Krieges und des Sieges waren nicht weniger wichtig. Millionen von Soldaten verschiedener Nationalitäten durchliefen die Armeerituale, wurden ausgezeichnet, und der Titel „Held der Sowjetunion“ wurde an Kämpfer verschiedener Nationen der UdSSR verliehen¹⁴⁷. Die Propaganda schuf heroische Bilder des Krieges (nicht nur einzelne Helden, sondern auch ikonische Schlachten und heldenhafte Einheiten), deren Anblick zu einem wichtigen Element der menschlichen Selbstidentifikation wurde und ein Gefühl der Kampfbrüderschaft entstehen ließ. Die militärische Erfahrung, die trotz ihrer realen Widersprüche zu einem Schlüsselerlebnis im Leben mehrerer Generationen wurde, entwickelte sich zu einem Symbol der Solidarität und wurde zu einem der wichtigsten Elemente der sowjetischen Identität.