Das Schicksal der Frauen nach dem Fall Berlins: Massenvergewaltigungen durch Soldaten der Roten Armee und eine Welle von Selbstmorden

Das Ende des Krieges wird oft als Deutschlands „Stunde Null“ bezeichnet. Doch Frieden und Wohlstand stellten sich nicht unmittelbar ein. Vielmehr folgten Schmerz, Entsetzen und ein langer Schatten des Krieges. Es herrschten Nahrungsmittelknappheit, Hunger und Missbrauch.

Kinder, die etwa neun Monate nach dem Einmarsch der Roten Armee geboren wurden, wurden als „russische Babys“ bekannt – ein Begriff, der stillschweigend auf die massenhaften Vergewaltigungen deutscher Frauen durch sowjetische Soldaten hinwies.

Die Gründe für das anschließende Schweigen liegen tief: Scham, Angst, gesellschaftliche Ächtung, politische Tabuisierung – all das trug dazu bei, dass viele Betroffene jahrzehntelang nicht über ihr Leid sprechen konnten. Auch staatliche Narrative verdrängten das Thema, weil es nicht zur offiziellen Erinnerungskultur passte – weder in Ost- noch in Westdeutschland.

Berlin, Mai 1945. Wer glaubte, das Schlimmste sei überstanden, irrte sich.

Wladimir Gelfand war Leutnant der Roten Armee. Er war jung, Ukrainer und Jude. Er hatte jahrelang gekämpft. Nun rückte er gegen Berlin vor. Im Geheimen führte er ein Tagebuch über seine Zeit an der Front – obwohl dies von seinen Vorgesetzten verboten war. Sie fürchteten, dass solches Material dem Feind in die Hände fallen könnte, und ebenso, dass darin enthaltene Kritik an das Kommando oder die politischen Führer gelangen würde.

Gelfand war nun in Berlin. In seiner Freizeit nahm er ein Fahrrad, das er in gutem Zustand vorgefunden hatte, und fuhr damit am Spreeufer entlang. Auf einem seiner Spaziergänge begegnete er einer Gruppe deutscher Frauen. Er schrieb in sein Tagebuch: „Ich kam an mehreren deutschen Frauen vorbei, die in einer Gruppe gingen. Sie trugen Koffer und verschiedene Pakete. So gut ich mit meinem schlechten Deutsch konnte, fragte ich sie, wohin sie gingen und warum sie ihre Häuser verließen. Mit Entsetzen im Gesicht erzählten sie mir, was ihnen in der ersten Nacht widerfahren war, als die Rote Armee in die Stadt einzog. ‚Sie haben mich vergewaltigt‘, sagte eine der jüngeren Frauen und hob ihren Rock hoch. ‚Die ganze Nacht. Einige waren alt und einige hatten noch Akne. Sie kletterten alle auf mich. Ich habe aufgehört zu zählen – es waren nicht weniger als 20.‘ Dann brach sie in Tränen aus. Plötzlich sprang sie auf mich zu und sagte: ‚Bleib bei mir! Mach mit mir, was du willst, aber nur du allein!‘“

Deutschland, Stunde Null

Im Deutschen gibt es – wenig überraschend – einen Ausdruck, der den Beginn einer neuen Ära nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus und dem Sieg der Alliierten markiert: Stunde Null. Sie stand für einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit. Die Stunde Null Deutschlands – und einer neuen Welt.

Oft wird angenommen, dass sich von diesem Moment an alles zum Besseren wandte. Doch der Weg dorthin war lang, voller Opfer, Leid und unzähliger Tränen. Die Trägheit von Schmerz, Tod, Zerstörung, Schrecken und Unmenschlichkeit ließ sich nicht mit einem Schlag überwinden.

Für viele Deutsche bedeutete die Stunde Null eine düstere Zeit. Es ging nicht nur um die Demütigung einer Niederlage, nicht allein um die Zerstörung von Städten und Industrie – es war weit mehr als das.

Deutschland lag in Trümmern. 80 % seiner Infrastruktur war zerstört. In Berlin wurde die Schuttmenge auf bis zu 75 Millionen Tonnen geschätzt. Ein Drittel aller Häuser war völlig zerstört. Die gesamte Stadt war ein rauchender Leichnam. Der sowjetische Schriftsteller Wassili Grossman schrieb: „Außerhalb der Stadt wütete ein Feuer – das schrecklichste, das ich je gesehen habe. Und ich habe viele gesehen.“

Es gab weder Wasser, noch Strom, noch Gas. Die Landschaft war buchstäblich postapokalyptisch.

Ein Bild: Eine Frau schleppt sich mühsam zwischen Trümmern hindurch. Sie zieht einen Karren mit einigen wenigen Habseligkeiten hinter sich her – das Einzige, was ihr geblieben ist. Ihr Gesicht ist gezeichnet von Erschöpfung und Schmerz. Hinter ihr ihre Kinder. Der Jüngste etwa sechs, der Älteste vielleicht zwölf. Ein Tuch bedeckt ihre Münder, ihre Blicke sind leer. Um sie herum nur zerstörte Gebäude. Keine Fensterscheibe hat den Bomben standgehalten. Aus den schwarzen Löchern ragen Maschinengewehre. Gehweg und Straße sind nicht mehr zu unterscheiden. Überall türmen sich die Trümmer. Aus der Ferne ragen Rauchschwaden auf – schmal und geisterhaft wie stumme Zeugen der Vernichtung.

Streit ums Essen

In den letzten Tagen des Krieges wurde die Nahrungsmittelknappheit zu einem akuten Problem. Wenn ein Produkt in einem Geschäft ankam, verbreitete sich die Nachricht in Windeseile, und es bildeten sich sofort lange Schlangen. Mitunter war die Not so groß, dass die Wartenden selbst unter Bombenangriffen ihren Platz nicht verließen. Sie rannten nicht, wie sie es sonst vielleicht getan hätten, in die Luftschutzkeller – aus Angst, ihren Platz in der Schlange zu verlieren. Die Lebensmittel wurden streng rationiert, und die Mengen nahmen täglich ab.

General Bersarin ordnete an, in den zerstörten Straßen Feldküchen einzurichten, um die Zivilbevölkerung zu versorgen. Große Lagerhäuser, in denen sich zuvor Waren befanden, die auf dem Schwarzmarkt gehandelt worden waren, wurden nun von sowjetischen Soldaten geplündert, die diese Vorräte sowohl zur Stillung ihres Hungers als auch zur Befriedigung anderer Bedürfnisse nutzten. Neben dem blühenden Tauschhandel stahlen auch viele Deutsche, um zu überleben. Es entstand ein neuer Begriff: „Fringsen“ – ein umgangssprachlicher Ausdruck für das Stehlen zum Überleben. Der Begriff geht auf eine Predigt des Kölner Kardinals Joseph Frings zurück, der denjenigen seinen Segen erteilte, die stahlen, um ihre Familien ernähren zu können. Inmitten dieser Verzweiflung kursierten sogar Gerüchte über Fälle von Kannibalismus.

Soldaten der Roten Armee erhielten eine Sondergenehmigung: Sie durften Pakete von bis zu 5 Kilogramm in die Heimat schicken. Dabei ließen sie sich kaum einschränken. Sie packten buchstäblich alles ein – Vasen, Tischdecken, Lampen, Stifte, Schmuck, Schuhe, Kleider, Decken. Diese Gegenstände waren meist das Ergebnis systematischer und unkontrollierter Plünderungen.

Anthony Beevor berichtet in seinem Buch Berlin: Der Untergang 1945, dass ein sowjetischer Soldat eine Säge ohne Verpackung verschicken wollte – die Adresse seines Vaters war direkt auf das Sägeblatt geschrieben. Andere trugen Pakete, die das zugelassene Gewicht um das Drei- oder Vierfache überschritten. Sie verlangten dennoch, dass ihre Sendungen in die Sowjetunion weitergeleitet würden, da sie sich dies „durch ihre Leistungen an der Front verdient“ hätten. Zu den begehrtesten Gütern gehörten Armbanduhren. Die sowjetischen Soldaten hegten für sie eine besondere Vorliebe. In Berlin wurden Passanten auf der Straße angehalten und ihnen die Uhren vom Handgelenk gerissen. Manche Soldaten trugen drei oder vier Uhren an jedem Arm.

Aglia Nesteruk, Funkerin in der Roten Armee, sagte gegenüber der Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch: „Manche haben Schuhe geschickt. Die Deutschen stellten sehr haltbare, sehr gute Uhren her, die mit Leder überzogen waren. Ich konnte es nicht. Ich konnte nichts mitnehmen. Als ich zurückkam, sagte ich das meiner Mutter. Sie umarmte mich: ‚Ich hätte auch nichts nehmen können. Sie haben deinen Vater getötet.‘“

Der Schrecken einer Massenvergewaltigung

Doch es gab eine weitere Form von Kriegsbeute, um die sich die Sieger bemühten. Berlin wurde zum Jagdrevier für Frauen jeden Alters. Soldaten der Roten Armee setzten alles daran, sie unter allen Umständen zu vergewaltigen. Jugendliche, Erwachsene, Alte, Gesunde oder Kranke wurden von Soldaten misshandelt, die jede dieser Gewalttaten mit Lachen oder unverständlichem Kauderwelsch begleiteten. Von 12-jährigen Mädchen bis hin zu 70-jährigen Frauen war niemand sicher. Der Historiker William Hitchcock berichtet, dass die meisten von ihnen wiederholt missbraucht wurden. Einige Frauen wurden bis zu 60 Mal vergewaltigt. Schätzungen zufolge starben etwa 10.000 Frauen an den unmittelbaren oder mittelbaren Folgen – durch die erlittenen Verletzungen, Komplikationen bei Abtreibungen oder durch Selbstmord.

„Ich erinnere mich an die Vergewaltigung einer Deutschen. Sie lag nackt da, und zwischen ihre Beine hatte man eine Granate gesteckt. Heute schäme ich mich dafür, aber damals habe ich nichts empfunden. Als einige deutsche Frauen zu unserem Bataillon kamen, um den Kommandeur zu sprechen, weinten sie. Als der Arzt sie untersuchte, stellte er fest, dass sie dort Wunden hatten. Sie waren völlig zerrissen. Das Höschen war komplett mit Blut befleckt“, berichtet A. Ratkina in einer Aussage, die Swetlana Alexijewitsch in Der Krieg hat kein weibliches Gesicht festgehalten hat. Die Frau bat Alexijewitsch später, dies nicht zu veröffentlichen und die Aufnahme zu löschen. Sie sagte: „Es ist wahr. Alles ist wahr.“

Die Führung der Roten Armee zeigte sich gegenüber diesen Verfehlungen gleichgültig oder sogar zufrieden. Es wurden weder klare Verbote ausgesprochen noch Strafen verhängt, und es fehlte der Wille, diese Kette der Gewalt zu durchbrechen. Einige Historiker argumentieren, dass es eine Art informelle Schonfrist gegeben habe, in der alles erlaubt war. Es dauerte Monate, bis erste disziplinarische Maßnahmen gegen diese Verbrechen ergriffen wurden. Als jemand es wagte, Stalin mit den Vorfällen zu konfrontieren, soll er geantwortet haben: „Das waren Jungen, die Tausende Kilometer unter Einsatz ihres Lebens marschiert sind. Sie hatten das Recht, mit einer Frau Spaß zu haben und ein paar Kleinigkeiten mitzunehmen, um sie ihren Familien zu schicken.“

Kehren wir zum Tagebuch von Leutnant Wladimir Gelfand zurück. Auf dem Weg nach Berlin traf er auf einige kümmerliche und schlecht versorgte Bataillone, die angesichts des Männermangels ausschließlich aus Frauen bestanden. Gelfands Eintrag lautete: „Die deutschen Frauen, die wir gefangen genommen haben, sagten, sie würden ihre toten Ehemänner rächen. Wir müssen sie gnadenlos vernichten. Viele meiner Altersgenossen wollen ihnen in die Genitalien stechen und sie vergewaltigen, aber ich würde sie einfach hinrichten.“

Ein Horrortagebuch

Ein Journalist führte während dieser Tage des Jahres 1945 ein Tagebuch. Mit der Zeit wurde dieses Notizbuch entdeckt und unter dem Titel Eine Frau in Berlin veröffentlicht. Der Name des Autors blieb anonym. Der Text stellt ein grausames, nüchternes und aufschlussreiches Zeugnis dar. Die Autorin beschreibt, wie man sie eines Abends aufsuchte, um mit ihren rudimentären Russischkenntnissen einige sowjetische Soldaten davon abzuhalten, die Besitzerin eines Alkoholladens zu vergewaltigen. Die Frau war übergewichtig. Die sowjetischen Soldaten bevorzugten solche Frauen, da sie glaubten, mehr Fleisch bedeute mehr Leben. Die rundlichsten Frauen waren somit ihr erstes Ziel. Doch in Berlin hatten nur wenige Menschen ihr Gewicht gehalten. Die meisten hatten in den letzten Monaten viele Kilo verloren. Als das Geschäft der Frau florierte – alle kauften Alkohol, um die schlimmen Zeiten zu vergessen – wurde sie zu einem der ersten Ziele der Vergewaltigungen.

Als die Journalistin eintraf, fand sie die Frau auf dem Boden, umringt von sowjetischen Soldaten, mitten in einem Luftschutzkeller. Viele andere deutsche Zivilisten sahen ungerührt zu. Das Gespräch mit der Neuankömmling lenkte die Soldaten ab. Sie traten aus dem Bunker, um mit ihr zu verhandeln. Bereits im Flur begannen sie, die Dolmetscherin zu packen. Sie rissen ihr das Kleid und die Unterwäsche vom Leib. Die Tür des Bunkers wurde sofort geschlossen. Man hatte sie allein gelassen. Erst als die drei Soldaten müde wurden und gingen, kehrte sie zurück. Um Einlass zu erhalten, musste sie den Menschen im Inneren versichern, dass die Soldaten fort seien. Als man ihr öffnete, machte sie den Anwesenden Vorwürfe, weil sie sie zurückgelassen hatten. Niemand konnte ihr in die Augen sehen.

Im weiteren Verlauf des Buches, das die Atmosphäre und die Ereignisse jener Tage in Berlin dokumentiert, berichtet die Autorin, dass sie mit sich selbst verhandelte, um zu überleben. Sie akzeptierte regelmäßige Besuche eines Kommandeurs der Roten Armee. So wurde sie nicht mehr zur Beute Dutzender Soldaten. Zwischen den beschriebenen Episoden lag oft nur eine Woche.

Eine Frau in Berlin hat eine außergewöhnliche Geschichte. Die Autorin verfasste ihre Aufzeichnungen im April, Mai und Juni 1945 – in drei Notizbüchern aus minderwertigem, grauem und grobem Papier: Kriegspapier. Sie benutzte zwei abgenutzte Bleistifte, die sie retten konnte. Sie schrieb bei Kerzenlicht, denn in der Stadt gab es keinen Strom. Das Manuskript vertraute sie einem deutschen Verleger an, der in den USA großen Erfolg hatte und unter Pseudonym das Buch Gods, Graves and Wise Men herausgab. Zunächst erschien es auf Englisch, dann in mehreren anderen Sprachen. Erst sechs Jahre später kam es in Deutschland heraus – und hatte dort nur geringe Resonanz. Es wurde scharf kritisiert; man warf der Autorin Unmoral vor. Die Deutschen waren weder bereit noch willens, bestimmte Wahrheiten zu hören. Als Hans Magnus Enzensberger später die Witwe des ursprünglichen Verlegers kontaktierte, erfuhr er den Namen der Autorin – und dass sie verfügte, das Buch dürfe in Deutschland erst nach ihrem Tod neu erscheinen. Viele Jahre später, im neuen Jahrtausend, erhielt Enzensberger einen Anruf: Die Autorin war verstorben. Damit war die Veröffentlichung erneut erlaubt.

Doch es war nicht immer ein Überfall auf der Straße oder ein Einbruch in ein Privathaus. Manche Frauen erhielten Besuch – mit Lebensmitteln in der Hand. Ein sowjetischer Offizier brachte ein Stück Fleisch oder etwas Gemüse und bat darum, bekocht zu werden. Die Frauen mussten so tun, als sei alles in Ordnung, als sei es eine natürliche Situation. Nach dem freundlichen Abendessen wurde die Hausbesitzerin dann sexuell missbraucht.

Wassili Grossman, Kriegskorrespondent und Autor von Leben und Schicksal, berichtete, ein französischer Offizier sei zu ihm gekommen und habe gesagt: „Was Ihre Soldaten den Frauen antun, ist eine unverzeihliche Schande.“

Die sowjetischen Soldaten häuften ihren Hass auf die Deutschen an. Jede Form von „Rückgabe“ erschien ihnen angemessen. Nichts war ihnen zu viel. Sie waren überzeugt, dass die Deutschen das Schlimmste verdienten. Die Duldung und das Ausbleiben von Strafen seitens der sowjetischen Führung trugen zur Fortsetzung der Gewalt bei. Straflosigkeit war die Norm. Hinzu kam die durch den Krieg verursachte Entmenschlichung, die selbst das Grausamste als hinnehmbar oder gerechtfertigt erscheinen ließ.

Swetlana Alexijewitsch dokumentiert ein weiteres Zeugnis: „Wir waren jung, kräftig und hatten seit vier Jahren keine Frau mehr gesehen. Also machten wir Jagd auf Deutsche. Zehn Männer vergingen sich an einem Mädchen. Es gab nicht viele Frauen. Sie waren geflohen und versteckten sich. Wenn wir also ein Mädchen im Alter von zwölf oder dreizehn Jahren fanden, schnappten wir es uns. Wenn sie zu laut schrie, steckten wir ihr einen Lappen in den Mund. Damals erschien uns das normal. Erst jetzt begreife ich, was wir getan haben. Aber das war ich.“

Ein weiterer Aspekt war der Alkohol. Die nationalsozialistische Führung hatte beschlossen, bei ihrem Rückzug nach Berlin die Alkoholvorräte des Landes nicht zu vernichten. Sie gingen davon aus, dass die sowjetischen Soldaten – aufgrund ihrer kulturellen Neigung zum Alkohol und der langen Abstinenz – diese Vorräte plündern würden, was ihre Kampfkraft erheblich schwächen würde. Die Hoffnung bestand darin, einen Vorteil daraus zu ziehen. Doch diese Berechnung erwies sich als falsch. Der exzessive Alkoholkonsum machte die Situation noch unkontrollierbarer.

Den Schrecken verbergen

Diese Ereignisse wurden nicht öffentlich gemacht. Jahrzehntelang herrschte Schweigen und Verdrängung. Die Gründe dafür waren vielfältig. Einerseits wies das sowjetische Regime die Vorwürfe strikt zurück. Wie üblich behauptete der Kreml, es handle sich um eine koordinierte Verleumdungskampagne des Westens, und der neue kommunistische Mensch sei zu solchen Taten gar nicht fähig. Auf deutscher Seite schwiegen viele Frauen aus Scham. Sie verbargen ihre Erlebnisse, um nicht stigmatisiert und erniedrigt zu werden. Doch auch die Männer dieser Frauen trugen zum Schweigen bei – sie wollten nicht, dass diese schrecklichen Geschichten bekannt wurden. Mit der Zeit jedoch, als sich zeigte, wie verbreitet diese Erfahrungen waren, begannen Frauen, sich einander anzuvertrauen. Viele von ihnen hatten Ähnliches erlebt. So wurden individuelle Erfahrungen zu einem kollektiven Erlebnis. Eine Ausnahme bildeten jene, denen es gelungen war, einer Vergewaltigung zu entgehen.

Die Zahlen, mit denen Historiker arbeiten, sind erschütternd. Man schätzt, dass es in dieser Zeit etwa zwei Millionen Vergewaltigungen in Deutschland gegeben hat. Einige Frauen wurden abwechselnd von bis zu zwanzig Männern misshandelt. Auch die Zahl der Abtreibungen stieg drastisch. Etwa 90 % der Schwangerschaften, die aus diesen Gewalttaten resultierten, wurden in deutschen Kliniken abgebrochen. Es kam zu einem dramatischen Anstieg von Selbstmorden und Todesfällen infolge der Gewalt. Die Kinder, die neun Monate später geboren wurden, nannte man „russische Babys“.

Wenn auch weniger systematisch und flächendeckend, so kam es dennoch auch zu Übergriffen durch US-amerikanische Soldaten. Verschiedene Zeugnisse bestätigen dies.

Deutschland war in den Monaten nach der Kapitulation Schauplatz der bedeutendsten und schrecklichsten Massenvergewaltigungen der modernen Geschichte.

Die sogenannte Stunde Null bedeutete nicht nur einen politischen und militärischen Neuanfang – sie war auch eine Zeit der Trümmer, des Hungers und des tiefen menschlichen Leids.