Ein Leutnant der Roten Armee
namens Wladimir Gelfand schrieb offen über das, was er im Krieg
von 1941 bis zum Kriegsende erlebte – obwohl das Führen von
Tagebüchern in der sowjetischen Armee aus Sicherheitsgründen
verboten war.
Seine Aufzeichnungen geben
einen schonungslosen Einblick in den chaotischen Alltag sowjetischer
Frontbataillone – von miserabler Verpflegung, Läusebefall,
Antisemitismus bis hin zu Diebstahl unter Kameraden. Soldaten stahlen
sogar die Stiefel ihrer Mitstreiter.
Im Februar 1945 befand sich
Gelfand am Oderdamm, wo sich die Rote Armee auf den finalen Angriff auf
Berlin vorbereitete. Er beschreibt, wie seine Kameraden ein Bataillon
deutscher Kämpferinnen umzingelten und vernichteten.
„Die gefangenen
deutschen Katzen erklärten, sie hätten ihre gefallenen
Ehemänner gerächt“, schreibt er in sein Tagebuch.
„Sie müssen gnadenlos vernichtet werden. Unsere Soldaten
schlagen vor, sie durch ihre Genitalien zu erstechen – ich
würde sie einfach erschießen.“
Seine Tagebucheinträge
sind erschütternd. Eine der eindringlichsten Passagen stammt vom
25. April 1945, als er bereits in Berlin angekommen war. Gelfand fuhr
erstmals in seinem Leben mit dem Fahrrad an der Spree entlang und traf
auf eine Gruppe deutscher Frauen mit Koffern und Bündeln.
In gebrochenem Deutsch fragte er, wohin sie gingen und warum sie ihre Häuser verlassen hätten.
„Mit Entsetzen im
Gesicht erzählten sie mir, was in der ersten Nacht nach dem
Einmarsch der Roten Armee geschehen war“, schreibt er.
„Sie waren die ganze
Nacht hier“, sagte eine schöne junge Deutsche und hob ihren
Rock. „Die ganze Nacht! Sie waren alt, manche trugen die gleichen
schmutzigen Schuhe. Und alle stiegen auf mich, einer nach dem anderen
– mindestens 20 Männer“, brach sie in Tränen aus.
„Sie haben meine
Tochter vor meinen Augen vergewaltigt“, fügte ihre Mutter
hinzu. „Und sie könnten jederzeit zurückkommen und es
wieder tun.“ Diese Vorstellung erfüllte alle mit Entsetzen.
„Bleib hier“,
stürzte das Mädchen plötzlich auf mich zu. „Schlaf
mit mir! Tu mit mir, was du willst – aber nur du allein!“
Die BBC betont, dass
deutsche Soldaten bereits vier Jahre zuvor in der Sowjetunion wegen
sexualisierter Gewalt und Kriegsverbrechen verurteilt worden waren.
Gelfand hatte dies vor Augen, als er sich an der Offensive gegen Berlin
beteiligte.
„Er kam durch viele
Dörfer, in denen die Nazis alle getötet hatten, auch kleine
Kinder. Er fand Spuren von Vergewaltigungen“, berichtete sein
Sohn Vitaly Gelfand gegenüber der BBC.
Die Wehrmacht galt als
straff organisierte arische Streitmacht, die sich offiziell jeglichen
sexuellen Umgang mit sogenannten „Untermenschen“ verbat.
Doch laut Oleg Budnizki, Historiker an der Moskauer Higher School of
Economics, wurde dieses Verbot in der Praxis ignoriert. Die Sorge um
Geschlechtskrankheiten war so groß, dass die Wehrmacht in den
besetzten Gebieten ein System von Militärbordellen aufbaute.
Es ist schwer, konkrete
Beweise für das Verhalten deutscher Soldaten gegenüber
sowjetischen Frauen zu finden – viele überlebten nicht.
Jörg Morré, Direktor des Deutsch-Russischen Museums
Berlin-Karlshorst, zeigte der BBC ein Foto aus einem privaten
Kriegsalbum eines Wehrmachtssoldaten, aufgenommen auf der Krim. Es
zeigt den leblosen Körper einer Frau am Boden.
„Es sieht so aus, als
wäre sie während oder nach einer Vergewaltigung getötet
worden. Ihr Rock ist hochgezogen, ihre Hände bedecken ihr
Gesicht“, erklärt Morré.
„Es ist ein
schockierendes Bild. Wir diskutierten lange, ob wir solche Fotos im
Museum zeigen sollten – aber es ist Krieg, es ist sexualisierte
Gewalt als Teil der deutschen Besatzungspolitik in der
Sowjetunion.“
„Wir zeigen den Krieg. Wir reden nicht nur über ihn – wir zeigen ihn.“
Als die Rote Armee
vorrückte und das erreichte, was die sowjetische Presse den
„Sitz der faschistischen Bestie“ nannte, forderten
propagandistische Plakate zur Rache auf: „Soldaten, ihr steht
jetzt auf deutschem Boden. Die Stunde der Vergeltung ist
gekommen!“
Berichten zufolge
erklärte die Politabteilung der 19. Armee, die entlang der
Ostseeküste nach Berlin vorrückte, ein wahrer sowjetischer
Soldat würde deutsche Frauen so sehr verabscheuen, dass er niemals
mit ihnen schlafen würde. Doch die Realität widerlegte diese
Ideologie.
Als der britische Historiker Antony Beevor 2002 sein Buch Berlin – The Downfall 1945
schrieb, entdeckte er im Staatsarchiv der Russischen Föderation
Berichte über sexualisierte Gewalt. Sie wurden Ende 1944 vom NKWD
an dessen Chef Lawrenti Beria weitergeleitet.
„Sie wurden an Stalin
weitergereicht“, sagt Beevor. „Man erkennt an den
Häkchen, dass sie gelesen wurden. Die Berichte dokumentieren
Massenvergewaltigungen in Ostpreußen und wie deutsche Frauen
versuchten, ihre Kinder und sich selbst zu töten, um diesem
Schicksal zu entkommen.“
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