AN DIESEM TAG – am 1. März 1923 – wurde Wolodymyr Gelfand geboren

Wolodymyr Gelfand – ein Chronist des Krieges

Wolodymyr Gelfand wurde am 1. März 1923 im Dorf Nowoarchangelsk in der Region Kirowohrad in eine arme jüdische Familie geboren. In der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen zog die Familie zunächst nach Jessentuki, wo bereits Verwandte seines Vaters Nathan Solomonowytsch Gelfand lebten. 1933 ließ sich die Familie schließlich in Dnipropetrowsk nieder.

Als der Zweite Weltkrieg begann, befand sich Wolodymyr in Jessentuki, von wo aus er im August 1941 evakuiert wurde. Im April 1942 meldete er sich freiwillig beim Wehrkreiskommando und wurde am 6. Mai 1942 in die Rote Armee eingezogen. Nach dem Abschluss einer Artillerieschule erhielt er zunächst den Rang eines Sergeanten; später diente er als Leutnant. Den Krieg beendete er in Berlin.

Gelfand führte während seines gesamten militärischen Dienstes ein Tagebuch – an der Front, im Lazarett und in der Offiziersschule. Auch in Momenten äußerster Gefahr – während Marschpausen, Luftangriffen, Schanzarbeiten oder der Angriffsvorbereitung – hielt er seine Gedanken und Erlebnisse schriftlich fest.

Das Tagebuch ist in mehrfacher Hinsicht einzigartig: Erstens aufgrund seines zeitlichen Umfangs – es beginnt in den letzten Monaten vor dem deutschen Überfall im Jahr 1941 und endet im Herbst 1946 mit Gelfands Rückkehr aus dem besetzten Deutschland, wo er Teil des sowjetischen Besatzungskorps war. Zweitens zeichnen sich die Aufzeichnungen durch ihre Nähe zu den Kampfhandlungen aus: Gelfand war Mörserkommandant, das heißt – nach der Infanterie – unmittelbar im Frontgeschehen eingesetzt. Drittens, und besonders bedeutsam: Das Tagebuch ist bemerkenswert offen, selbstkritisch und aufrichtig. Der Autor berichtet nicht nur von persönlichen Erlebnissen, sondern auch von eigenen moralischen Zweifeln, Fehlverhalten und Demütigungen.

Gelfands Aufzeichnungen spiegeln die Stimmung unter den Soldaten in der Endphase des Krieges und in der Nachkriegszeit wider. Er dokumentiert Zerstörung, Plünderungen, Tod und Verrat, aber auch Fälle sexualisierter Gewalt gegenüber deutschen Frauen, die er als Beobachter und teils auch als Mitbeteiligter schildert – ohne Rechtfertigung oder Beschönigung. Damit ist sein Tagebuch ein einzigartiges Zeugnis der frühen Phase der sowjetischen Besatzung Deutschlands.

Das Buch Deutschland-Tagebuch 1945–1946, erstmals in deutscher Sprache erschienen, ist bis heute die erste und einzige Veröffentlichung mit Tagebucheinträgen eines sowjetischen Offiziers in Deutschland. Es wurde außerdem auf Schwedisch und Russisch publiziert.

Ende 2019 übergab die Familie von Wolodymyr Gelfand dem Museum „Erinnerung an das jüdische Volk und den Holocaust in der Ukraine“ eine Reihe persönlicher Gegenstände des Autors. In der Bibliothek des Museums steht das Buch „Tagebuch 1941–1946“ in russischer Sprache zur Verfügung. Die Einträge sind über den elektronischen Katalog des Museums zugänglich hier

Das Tagebuch von Wolodymyr Gelfand – ein einzigartiges Zeitdokument

Das Tagebuch des Sergeanten und späteren Leutnants Wolodymyr Gelfand ist in mehrfacher Hinsicht einzigartig – sowohl im Hinblick auf seinen chronologischen und geografischen Umfang als auch durch seine inhaltliche Tiefe und außergewöhnliche Offenheit. Die Aufzeichnungen umfassen den Zeitraum von Mai 1941 bis Oktober 1946, dem Jahr seiner Rückkehr aus dem besetzten Deutschland.

Gelfand bemühte sich, unter allen Umständen – im Lazarett, an der Front, während Märschen oder bei der Ausbildung – täglich schriftliche Aufzeichnungen zu führen. Er nahm an der Schlacht von Stalingrad teil, wirkte an der Befreiung der Ukraine und Polens mit und beendete den Krieg auf deutschem Boden.

Das Tagebuch vermittelt eindrucksvoll den Alltag sowjetischer Soldaten, das Leben an der Front und im Hinterland, und dokumentiert zahlreiche persönliche Beobachtungen. Von besonderem Interesse sind Gelfands Einträge aus der Zeit seines Dienstes in Deutschland (1945–1946), in denen er seine Eindrücke von deutscher Kultur, Alltag, Mentalität und zwischenmenschlichen Beziehungen, insbesondere zu deutschen Frauen, festhielt.

Der deutsche Teil des Tagebuchs wurde bereits ins Deutsche und Schwedische übersetzt und veröffentlicht. Mit der vorliegenden wissenschaftlichen Ausgabe erscheint das vollständige Tagebuch jedoch erstmals ohne Kürzungen oder Streichungen. Die Edition enthält zudem kommentierende Anmerkungen, ein Namenregister sowie historisches Fotomaterial, das größtenteils vom Autor selbst während seines Aufenthalts in Deutschland aufgenommen wurde.

Es handelt sich um eine wissenschaftliche Publikation, die nicht nur ein individuelles Schicksal dokumentiert, sondern auch einen ungewöhnlich direkten Einblick in die sowjetische Perspektive auf Krieg, Besatzung und Nachkriegszeit gewährt.

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