Wladimir
Gelfand (1923–1983) – Schriftsteller, Veteran des
Großen Vaterländischen Krieges. Im Jahr 1941 war er Student
des Rabfak der Industriehochschule Dnepropetrowsk.
Ich hatte fast alle
Prüfungen bestanden, nur Mathematik stand noch aus – mein
unbeliebtestes und zugleich schwierigstes Fach. Ich versprach mir
selbst, unermüdlich und täglich zu lernen, um im Sommer frei
zu sein und schöne Ferien genießen zu können.
Am 22. des vergangenen Monats (22. Juni 1941)
besuchte ich zusammen mit Olja und ihren Freundinnen Walja Jaschkowa
und Maja eine Aufführung des Belokopytnaja-Maly-Theaters, das
gerade auf Tournee war. Gespielt wurde eine Komödie von A. N.
Ostrowski: „Wahrheit ist gut, aber Glück ist besser“.
Das Stück wurde von bekannten Volkskünstlern der Sowjetunion
und der Republik inszeniert und war ein großer Erfolg –
trotz der typischen Schwächen, die Ostrowskis Frühwerk mit
sich bringt.
In heiterer Stimmung und
begeistert von der Aufführung verließen wir den
Zuschauerraum des Gorki-Theaters. Auf den Straßen drängten
sich die Menschen. Die Straßenbahnen waren völlig
überfüllt, an den Trittbrettern hingen Fahrgäste, sodass
es kaum möglich war, rechtzeitig ein- oder auszusteigen.
Von Olja erfuhr ich dann die
schockierende Nachricht: Deutschland hatte uns den Krieg erklärt.
Das war schrecklich – und völlig unerwartet…
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