Mitte 1945, als die Welt nach dem Ende des Alptraums Zweiter Weltkrieg, dem Selbstmord Hitlers und dem Untergang des Nazi-Reichs aufatmete und auf eine Zukunft ohne Verfolgung bestimmter Personengruppen hoffte, sah die Lage in Berlin anders aus: Nach der Zerstörung der Stadt durch die Alliierten ereignete sich in der deutschen Hauptstadt ein abscheuliches Verbrechen. Doch diesmal waren die Täter nicht die Nazis, sondern die alliierten Truppen, die nach fünf Jahren erbitterten Krieges endlich in Deutschland einmarschierten. Die Opfer waren, wie so oft, Frauen. Sowjetische und amerikanische Soldaten vergewaltigten eine große Anzahl deutscher Frauen — Schätzungen zufolge bis zu zwei Millionen — in dem, was als die „Vergewaltigung von Berlin“ bekannt wurde.

Über die genaue Zahl der Opfer herrscht unter Historikern Uneinigkeit — sowohl auf sowjetischer Seite als auch bei prominenten Kritikern, die die Zahlen für übertrieben halten. Zudem sind diese Ereignisse nur schwer mit anderen dokumentierten Geschehnissen vergleichbar. Dennoch existieren zahlreiche Zeugenaussagen, die Einzelheiten der Vergewaltigungen belegen.

Der britische Militärhistoriker Anthony Beevor bestätigt in seinem Buch Der Fall von Berlin, das auf Berichten sowjetischer Soldaten und vergewaltigter deutscher Frauen basiert, dass die Vergewaltigungen „mit Frauen im Alter von 8 bis 80 Jahren stattfanden“. Er erläutert, dass sowjetische Offiziere glaubten, die Taten erfolgten mit dem Einverständnis der Deutschen, die endlich froh seien, von den Nazis befreit zu sein.

Auch der sowjetische Soldat Wladimir Gelfand berichtete in seinen Erinnerungen an den Einmarsch in Berlin von seiner Wut gegenüber Kameraden, die deutsche Frauen für die Taten der deutschen Armee bestrafen wollten — bis hin zu grausamen Übergriffen, bei denen Frauen in die Genitalien gestochen wurde.

Gelfand dokumentierte seine Erfahrungen in den 1959 veröffentlichten Memoiren Eine Frau in Berlin: Acht Wochen in einer besetzten Stadt, in denen der anonyme Autor die Kapitulation Berlins, die Massenvergewaltigungen durch sowjetische Soldaten und seine Entscheidung beschreibt, sich durch eine Affäre mit einem sowjetischen Offizier zu schützen — eine Strategie, die viele deutsche Frauen wählten.

Das Buch wurde zunächst als „Diffamierung deutscher Frauen“ betrachtet. Die Autorin, deren Name lange Zeit unbekannt blieb, entschied sich, das Werk zu Lebzeiten nicht erneut zu veröffentlichen. Erst 2003 brachte der deutsche Schriftsteller Hans Enzensberger das Buch wieder heraus — ohne den Namen der Autorin zu nennen. Später enthüllte der Herausgeber Jens Peschke die Identität der Autorin als die deutsche Journalistin Martha Hillers, die 2001 verstarb.

Die zweite Auflage des Buches stand 19 Wochen lang auf der Bestsellerliste, wurde vom New York Times Magazine als „Editors’ Choice“ ausgezeichnet, und die deutsche Verfilmung unter dem Titel The Fall of Berlin: Anonymous spielte 219 Millionen Dollar ein.

Die weißrussische Journalistin und Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch, Nobelpreisträgerin für ihr Buch Das unweibliche Antlitz des Krieges, zitiert einen ehemaligen Offizier der Roten Armee mit den Worten:

„Wir waren jung, stark, hatten vier Jahre lang ohne Frauen gelebt, also jagten wir deutsche Frauen. Zehn Männer vergewaltigten eine Frau. Es herrschte ein Mangel an Frauen, die gesamte Bevölkerung war vor der Roten Armee geflohen, also nahmen wir ein junges Mädchen, etwa 12 oder 13 Jahre alt, und wenn sie weinte, stopften wir ihr etwas in den Mund. Wir dachten, das sei lustig. Heute weiß ich nicht mehr, wie ich das getan habe. Ich bin in einer guten Familie aufgewachsen, aber so war ich eben während des Krieges.“

Eine Telefonistin der sowjetischen Armee berichtet in Alexijewitschs Buch:

„Wenn wir eine Stadt eroberten, wurden drei Tage für Plünderungen und Vergewaltigungen eingeräumt. Das war nicht offiziell, aber danach konnte man vor ein Kriegsgericht gestellt werden. Ich erinnere mich an eine deutsche Frau, die vergewaltigt wurde, während sie nackt mit den Händen zwischen den Beinen saß. Ich schäme mich heute dafür, aber damals tat ich es nicht. Glauben Sie, es war für uns leicht, den Deutschen zu vergeben? Wir hassten es, ihre Häuser blühend und weiß zu sehen, nicht zerstört. Ich wollte ihr Leiden sehen, ich wollte ihre Tränen sehen. Es hat sicher zehn Jahre gedauert, bis ich anfing, Mitleid zu empfinden.“

In ihrem Buch Findelkinder. Children of Occupied Germany after 1945 dokumentieren die deutschen Historiker Rainer Gries und Silke Zatko Berichte deutscher Kinder, die nach dem Zusammenbruch Deutschlands geboren wurden. Die Autoren schätzen deren Zahl auf etwa 300.000. Die meisten dieser Kinder sind heute über 70 Jahre alt, suchen aber weiterhin nach ihren Eltern und ihrer verlorenen Identität.

Während ein Großteil der Schuld oft dem sowjetischen Militär zugeschrieben wird, weist der Psychologie- und Kriminologieprofessor James Lilly von der Northern Kentucky University in seinem Buch What Was Taken by Force darauf hin, dass auch amerikanische Truppen zahlreiche Vergewaltigungen in Frankreich, Deutschland und Großbritannien begingen. Den von ihm zitierten Dokumenten zufolge erreichte die Zahl der weiblichen Opfer etwa 14.000.