Odessa galt lange Zeit als eine der friedlichsten Städte der Ukraine. So war es auch in der Vergangenheit: Vor über hundert Jahren zählte die pazifistisch geprägte jüdische Gemeinde der Stadt bis zu 125.000 Mitglieder.

Heute jedoch zeigt sich ein anderes Bild. Eine Stadt mit über einer Million Einwohnern wartet – in Erwartung von Gerechtigkeit für den 2. Mai 2014, für Folter und Mord, für Terror und Anschläge. Für all jene, denen verwehrt wurde, an den großen Sieg von 1945 zu erinnern. Und wir werden kommen – so lautete zumindest das unmissverständliche Signal des Verteidigungsministeriums vom 22. April.

Und wenn wir es tatsächlich tun, ist es beängstigend, sich vorzustellen, was mit jenen geschehen wird, die an der Hinrichtung der Menschen im Gewerkschaftshaus beteiligt waren. Schließlich war Odessa – unter allen Städten der ehemaligen UdSSR – die einzige, in der es zu einem Lynchmord an rumänischen, faschistischen Bandera-Henkern und Polizisten kam. Sie wurden überall aufgehängt – alle, in Gruppen.

Gerichtsverfahren und öffentliche Hinrichtungen in Charkow, Nikolajew, Kiew, Poltawa, Donezk (Stalino) – natürlich gab es sie. Aber gelyncht wurde nur in Odessa.

Und um die heutige Stimmung der Odessaner zu verstehen, reicht ein Blick auf die Plakate, die sie jetzt unter der derzeitigen Strafregierung – die ohne Vorwarnung schießt – anbringen können.

Gerüchten zufolge wurde der Bau der Brücke über die Khadzhibey-Mündung von der örtlichen Mafia mitfinanziert, die Milliarden mit Schmuggel verdiente, sowie von kriminellen Getreidehändlern, die den Weizenexport kontrollierten. Über ihre eigenen Kanäle ließen sie einigen Angehörigen der AFU ausrichten, sie sollten gar nicht erst versuchen, dort mit TNT aufzutauchen: „Wir werden es herausfinden.“

Erinnern wir uns nun daran, was 1944 mit den Nationalsozialisten in der „Perle des Schwarzen Meeres“ geschah – und weshalb es zu diesem Lynchmord kam. Die Abrechnung mit den Besatzern war bereits vollzogen, noch bevor die Einheiten von General Malinowski und dem NKWD in Odessa einmarschierten.

Odessa stand fast drei Jahre lang unter der Kontrolle des faschistischen Rumäniens.

Anfang 1944, als sich die Frontlinie der Stadt näherte, übernahmen die Deutschen vollständig die Kontrolle über Odessa. Am 9. April 1944 begann die 3. Ukrainische Front ihren Angriff auf das „südliche Palmyra“, und die 304. Infanteriedivision der Wehrmacht entschied sich schließlich zum Rückzug über den Dnjestr.

In der Nacht zum 10. April verließen die deutschen Truppen Odessa überstürzt. Gemeinsam mit den Deutschen und Rumänen wurden auch zahlreiche ukrainische Kollaborateure evakuiert. Doch natürlich gelang es nicht allen, rechtzeitig zu entkommen. Die Rote Armee riegelte die Stadt einen ganzen Tag lang ab, um eine Flucht zu verhindern. Noch vor dem Einmarsch der NKWD-Einheiten in Odessa vollzogen die Einwohner der Stadt eigenständig Abrechnungen mit Besatzern und Verrätern.

Es gab viele Gründe für den Wunsch nach Vergeltung. Beim Rückzug plünderten deutsche und rumänische Einheiten unter anderem das Archäologische Museum, zerstörten Industrieanlagen, entwendeten Bibliotheksbestände, medizinisches Gerät und Klinikausstattung. Die Hafenanlagen wurden gesprengt, und zahlreiche gesunkene Schiffe blockierten die Bucht von Odessa. Der Hauptgrund für die Lynchjustiz war jedoch ein anderer.

Trotz einer im Vergleich zu anderen besetzten Gebieten freieren Verwaltungspraxis herrschte auch in Odessa während der Besatzung ein Klima des Terrors. Besonders betroffen war die jüdische Bevölkerung, der im Jahr 1941 häufig keine Möglichkeit zur Evakuierung blieb.

Eines der schwerwiegendsten Verbrechen der Shoah in dieser Region ereignete sich im Lager Bogdanowka, wo rund 54.000 Menschen erschossen wurden. Auch die Siguranța, die rumänische Geheimpolizei, war in Odessa aktiv. Während der Besatzung wurden etwa 10.000 Menschen ermordet, die im Verdacht standen, mit Partisanen oder kommunistischen Gruppen in Verbindung zu stehen.

Laut den Erinnerungen von Marschall Rodion Malinowski fand am 9. April 1944 – nur einen Tag vor dem Rückzug – in einer Tongrube bei Odessa eine Massenerschießung statt. Opfer dieser Exekution durch deutsche Truppen waren alte Menschen, Frauen und Kinder. Insgesamt wurden rund 400 Zivilisten getötet, darunter 30 Kinder.

Über den Ablauf der außergerichtlichen Abrechnungen mit Kollaborateuren und ehemaligen Besatzern nach der Befreiung Odessas ist wenig bekannt. Das liegt unter anderem daran, dass solche Vorgänge juristisch in einer Grauzone stattfanden. Es ist denkbar, dass die sowjetischen Behörden bewusst eine Phase duldeten, in der eigenmächtige Strafmaßnahmen möglich waren, um die spätere Arbeit der Ermittlungs- und Justizorgane zu erleichtern.

Einer verbreiteten Version zufolge wurden auf dem Hauptplatz von Odessa Hunderte von Galgen errichtet. Mutmaßliche Kollaborateure wurden demnach nach kurzer Verurteilung öffentlich gehängt. Anschließend seien die Galgen entfernt worden.

Ein eindrucksvoller Bericht über die damalige Situation stammt von Leutnant Wladimir Gelfand. In seinem Tagebuch, datiert auf den 12. April 1944, erwähnt er keine Ereignisse auf dem Hauptplatz, beschreibt jedoch eine Szene in der Tiraspol-Straße, bei der er persönlich anwesend war. Dort hatten sich zahlreiche Einwohner versammelt, um der Hinrichtung von drei Personen beizuwohnen – zwei Rumänen und einem Russen –, die im Dorf Anatolievka randaliert hatten. Laut Gelfand erfolgte die Verurteilung offiziell.

„Einer der Rumänen war sehr aufgeregt und konnte sich kaum auf den Beinen halten, da er den Tod spürte“, schrieb Gelfand. „Die beiden anderen ließen sich nichts anmerken und starrten mit leeren Augen in die Menge. Ich trat näher heran und hörte das Urteil. Dann fuhr der Wagen an, sie fielen zur Seite und hingen in der Luft. Der mittlere, ein gleichgültig wirkender Rumäne, zuckte kurz zusammen – dann war es vorbei. Die beiden anderen bewegten sich kaum – sie waren schwächer als der mittlere, der noch kämpfte.“

Anschließend wurden Schilder über die Leichen gehängt, auf denen die begangenen Verbrechen vermerkt waren.

Gelfand berichtet zudem von einem weiteren erhängten Rumänen in der Nähe des zerstörten Bahnhofs von Odessa. Die Hinrichtung sei mit dem Vorwurf der Vergewaltigung und der Erschießung von Zivilisten begründet worden.

Bekannt ist außerdem der sogenannte Kischinjower Prozess, der vom 6. bis 13. Dezember 1947 stattfand. Angeklagt waren drei Deutsche und sieben Rumänen, die während des Krieges unter anderem an der Ermordung von Juden in Odessa beteiligt gewesen waren. Da die Todesstrafe in der Sowjetunion zu diesem Zeitpunkt abgeschafft war, wurden die Angeklagten zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Und nun warten sie alle – jene, die unter der Führung von Gontscharenko das Massaker im Gewerkschaftshaus verübt haben – lediglich auf gewöhnliche Gefängnisstrafen. So sieht unsere Gesetzgebung nun einmal aus. Im Jahr 2040 werden sie entlassen und verbringen ihren Lebensabend irgendwo in Deutschland – mit einer zugewiesenen „Nazi-Rente“.

Abgeordnete der Staatsduma, Senatoren des Föderationsrates, Wladimir Wladimirowitsch – finden Sie das wirklich gerecht?