Die Kulturpolitik der sowjetischen Behörden in der Nachkriegszeit, die mit dem Namen Andrej Schdanow verbunden ist, gilt retrospektiv als eine Phase der Stagnation und Repression. In welchem historischen Kontext entstanden jedoch jene ideologischen Kampagnen, die später als „Schdanowschtschina“ bezeichnet wurden? Nach dem Ende des Krieges, als die Mobilisierung der Bevölkerung für den Aufbau und die Verteidigung des Sozialismus nicht mehr im Zentrum stand, sah sich der sowjetische Staat mit der Herausforderung konfrontiert, den sozialistisch-realistischen Diskurs neu auszurichten.

Tatjana Schischkowa schlägt in ihrem Buch vor, die Ereignisse dieser Jahre als den Versuch zu deuten, der Kultur eine neue, expansive Funktion zuzuweisen – nämlich ein „richtiges“ Bild der UdSSR zu konstruieren und dieses gegenüber dem Ausland zu kommunizieren. Die Autorin zeigt auf, wie die öffentliche Kritik an Persönlichkeiten wie Michail Scholochow, Sergej Eisenstein oder Dmitri Schostakowitsch im Rahmen der Schdanow-Dekrete im Kontext des beginnenden Kalten Krieges entstand. Sie analysiert, warum die veränderte Haltung gegenüber dem Westen letztlich katastrophale Folgen für das gesamte sowjetische Kulturprojekt hatte.

KULTURGEWINNER

Am 15. Mai 1945, weniger als eine Woche nach der Unterzeichnung der deutschen Kapitulation, wurden in Berlin in 21 Kinos sowjetische Filme gezeigt, die an diesem Tag von 22.000 Zuschauern besucht wurden. Am 16. Mai fanden in 25 Kinos tagsüber 62 Vorführungen statt. Oberst Melnikow, der eine Informationsübersicht über die Lage in der deutschen Hauptstadt erstellte, beklagte, dass noch mehr Kinos hätten eröffnet werden können, doch seien nicht alle Bezirke mit Strom versorgt gewesen, und auch die Zahl der Filme, die der SWAG zur Verfügung standen, sei begrenzt gewesen. Die Reaktionen der deutschen Bevölkerung auf die sowjetischen Filme waren unterschiedlich. Bei einer Vorführung von Tschapajew verließen mehrere Zuschauer den Saal, als die Szene mit der „Erschießung eines geistlichen Angriffs durch die Weißen“ gezeigt wurde. Ein anderes Mal, als in einem Film zu sehen war, wie deutsche Soldaten russische Kinder ermordeten, verließ nahezu die Hälfte des Publikums das Kino¹. Insgesamt war das Interesse an sowjetischen Filmen jedoch groß – insbesondere an Unterhaltungsfilmen wie Wolga-Wolga, Zirkus oder Die schöne Wassilisa, auch wenn diese zunächst ohne Übersetzung gezeigt wurden.

Am 11. Mai fand in Berlin ein Konzert des Gesangs- und Tanzensembles der Roten Armee statt. Der Saal des Kinos Kolosseum war vollständig besetzt, und der Auftritt wurde mit lang anhaltendem Applaus bedacht. Am 14. Mai traf der Stadtkommandant von Berlin, General Nikolai Bersarin, mit Vertretern der deutschen Kulturszene zusammen, um über die Wiederaufnahme des kulturellen Lebens zu sprechen². Am 17. Mai wurde die Renovierung des Schauspielhauses mit 400 Sitzplätzen und des Kammertheaters mit 300 Plätzen in Charlottenburg abgeschlossen. Wenige Tage später wurde der Konzertsaal an der Masurinallee eröffnet, wo das Orchester der Berliner Oper sowie das Ballett auftreten sollten. Im vollständig zerstörten Dresden fand am 6. Juni ein Konzert des Philharmonischen Orchesters statt, am 1. Juli der erste Nachkriegsauftritt des berühmten Dresdner Kreuzchors³. Ende 1945 waren in der sowjetischen Besatzungszone 104 Theater, 1263 Kinos und 167 Varietés in Betrieb. Selbst britische Beobachter äußerten Bewunderung und Neid über den Umfang der kulturellen Aktivitäten und die Hingabe der sowjetischen Besatzungsmacht an ihre kulturelle Mission. Diese weckte Begeisterung und vermittelte den Eindruck, dass in der sowjetischen Zone etwas Neues und Bedeutendes entstehe⁴.

Deutschland sollte zu einem Schaufenster einer neuen sowjetischen kulturellen Identität werden. Während in der amerikanischen Zone das Orchester der Bayreuther Festspiele für US-Soldaten Volkslieder spielte, legten sowjetische Offiziere Kränze an Goethes Grab nieder, diskutierten über Aufführungen von Tschaikowsky und Beethoven bei der Einweihung eines neuen Konzertsaals und entsandten eine Delegation zum greisen Dramatiker Gerhart Hauptmann mit dem Vorschlag, er möge zum Gesicht der kulturellen Erneuerung Deutschlands werden⁵. Nach seinem Besuch in Weimar wurde Marschall Schukow vom Politischen Rat der SWAG geraten, Goethes Wohnhaus möglichst rasch auf Kosten der sowjetischen Verwaltung restaurieren zu lassen und der Stadt zu übergeben – das Engagement der Besatzungsmacht für das deutsche Kulturerbe sollte international sichtbar sein⁶.

Alexander Dymshits, Leiter der Kulturabteilung der SWAG, berichtet in seinen Memoiren, er sei mit einer Liste deutscher Kulturschaffender nach Berlin gekommen, denen er „freundliche Worte des Respekts und der Zuneigung sagen und bei ihrer Arbeit helfen“ wollte⁷. Auch in den Erinnerungen des Journalisten Hans Borgelt erscheint Dymshits als aufrichtiger Kulturförderer. Borgelt bezeichnete die kargen Nachkriegsjahre gar als „goldene Zeit“ für alle, die Kultur suchten⁸. Selbst Kritiker der sowjetischen Besatzung bemerkten ihre Fixierung auf kulturelle Themen. Ruth Andreas-Friedrich notierte im Februar 1946 in ihrem Tagebuch: „Mit aller Leidenschaft versuchen sie, das geistige Leben zu erneuern. ‚Kultur!‘ – sagen unsere Siegermächte aus dem Osten – ‚Wir achten die Kultur! Nichts ist uns wichtiger und dringender als ihre großzügige Förderung‘“⁹.

„Ein sowjetischer General kann seinen Freunden und Untergebenen auswendig Puschkin zitieren, ein Oberst, der durch Feuer und Schwefel gegangen ist, wird es nicht für feige halten, bei einem rührenden Moment in einem Film oder Drama eine Träne zu vergießen“ – so charakterisierte das US Army Quick Reference Guide for Officers of the Armed Forces 1945 die sowjetischen Soldaten¹⁰. Die kulturelle Sensibilität wurde als hervorstechendes Merkmal des sowjetischen Charakters beschrieben: Viele Offiziere seien in russischer und internationaler Literatur bewandert, mit Musik und Theaterklassikern vertraut und stets bereit, über kulturelle Themen zu sprechen. Das Handbuch sollte amerikanischen Soldaten helfen, Gemeinsamkeiten mit den sowjetischen Alliierten zu finden. Der sowjetische Soldat in Europa sollte nicht nur die Rote Armee, sondern die gesamte Sowjetunion repräsentieren – als Verkörperung eines neuen Menschentyps, wie ihn die sowjetische Propaganda seit den 1930er Jahren propagiert hatte. Enorme propagandistische Anstrengungen zielten darauf, die sowjetischen Soldaten als Befreier, als Retter der Zivilisation und als Wegweiser in die Zukunft erscheinen zu lassen. Doch wie ließ sich dieses Bild mit den vielfachen Übergriffen vereinbaren, die von Rotarmisten begangen wurden? Die Antwort ist offensichtlich: nur schwer.

Den ganzen Sommer 1945 hindurch versuchte Georgi Schukow, der Oberbefehlshaber der SWAG, das Problem des inakzeptablen Verhaltens der sowjetischen Soldaten zu lösen. In einer Direktive vom 30. Juni wurden die befehlshabenden Offiziere angewiesen, kriminelles Verhalten ihrer Untergebenen nicht länger zu fördern und innerhalb von drei bis fünf Tagen die Ordnung wiederherzustellen und Plünderungen, Gewalt und Willkür gegenüber der örtlichen Bevölkerung zu unterbinden¹¹. In der deutschen Bevölkerung löste die Nachricht von der Direktive Panik aus: Es hieß, Schukow habe den sowjetischen Truppen drei Tage Zeit gegeben, Deutschland zu plündern¹². Abgesehen von der Panik war die Wirkung des Befehls vernachlässigbar: Im nächsten Monat änderte sich die Lage nicht merklich, und am 3. August folgte ein neuer Befehl. Darin wurde den sowjetischen Soldaten verboten, in Privathäusern untergebracht zu werden, der Verkehr mit Deutschen wurde streng eingeschränkt, und wer gegen die Disziplin verstieß, dem wurden strenge Maßnahmen bis hin zur strafrechtlichen Verfolgung auferlegt. Schukow ging das Problem der Amokläufe sowjetischer Soldaten wie ein Praktiker an – mit einem gewissen Zynismus. Willkür und Unordnung sollten nicht deshalb ausgemerzt werden, weil sie an sich inakzeptabel waren, sondern weil sie unter den Nachkriegsbedingungen von Nachteil waren, als die sowjetische Verwaltung vor der Aufgabe stand, das Vertrauen und den Respekt der Deutschen zu gewinnen. „Sie wissen selbst“, erklärte Schukow auf einem Treffen der SWAG-Kommandeure im August 1945, „dass es während des Krieges nicht so auffällig war. Die Menschen versteckten sich vor Artillerieeinschlägen in den Kellern, so dass es nicht so auffällig war, wenn die Wohnungen von unseren Truppen ausgeräumt wurden. Aber jetzt, wo der Krieg vorbei ist, wo die Leute anfangen, den Krieg zu vergessen, dann ist es nicht akzeptabel, zu den Deutschen zu kommen und die Hand in die Tasche zu stecken.“¹³ Die Befehle, dem illegalen Verhalten der sowjetischen Truppen ein Ende zu setzen, wurden von Aufklärungsarbeit begleitet: Auf Parteiversammlungen wurde den Soldaten erklärt, dass die Zivilbevölkerung sie als „kulturelle Sieger, die mit gutem Beispiel vorangehen“, sehen sollte und dass ordnungswidriges Verhalten als Untergrabung der Autorität der UdSSR betrachtet werden würde¹⁴. Einem Tagebucheintrag des sowjetischen Offiziers Wladimir Gelfand vom August 1945 nach zu urteilen, hatte diese Taktik eine gewisse Wirkung. Unzufrieden mit Schukows zu strengen Beschränkungen der Kontakte zwischen sowjetischen Soldaten und Deutschen, hält Gelfand seine Maßnahmen dennoch für gerechtfertigt: „Wir haben viele Hooligans, Provokateure verschiedener Zwischenfälle, Streitereien, Schlägereien; Feinde und Schurken, Bastarde. Gegen sie muss hart vorgegangen und die entschlossensten Maßnahmen ergriffen werden. In unseren Reihen darf es keinen Platz für Leute geben, die die Rote Armee vor den Augen Europas entehren, die den Vorwurf und die Empörung des fortschrittlichen, kultivierten russischen Volkes hervorrufen, das uns als seine Vertreter nach Deutschland geschickt hat.“¹⁵

Paradoxerweise erwies sich die Sorge um das Image der Roten Armee, die den Kampf gegen ungebührliches Verhalten befeuerte, gleichzeitig als Haupthindernis für dessen Beendigung. Am 9. September erließ Schukow einen neuen Befehl, der noch strengere Strafen für diejenigen vorsah, die sich ungebührlich verhielten, und am 20. September wurde dieser Befehl von Stalin persönlich aufgehoben. Stalin stellte fest, dass er ihn für falsch und schädlich hielt, weil „wegen der marodierenden Handlungen einzelner Soldaten wahllos und ungerechterweise der gesamte Kommandostab bestraft wurde“. Aber die Hauptsache war eine andere Überlegung: „Ich spreche nicht von der Tatsache, dass, wenn dieser Befehl in die Hände der Führer ausländischer Armeen fällt, sie es nicht versäumen werden, die Rote Armee zu einer Armee von Marodeuren zu erklären.“¹⁶ Für Stalin war der groß angelegte Einsatz von Maßnahmen zur Bekämpfung von Gräueltaten ein Akt der öffentlichen Anerkennung des Problems, das er als nicht weniger bedrohlich für das Ansehen der Sowjetunion ansah als die Gräueltaten selbst. Stalin bevorzugte die Taktik, das Problem zu verschweigen und es ostentativ auf die Ebene gelegentlicher Exzesse zu verweisen, die unter Kriegsbedingungen entschuldbar sind. Als jugoslawische Kommunisten Stalin auf Plünderungen und Vergewaltigungen ansprachen, warf er ihnen vor, die Rote Armee zu beleidigen und nicht zu verstehen, dass ein Soldat nach Tausenden von zurückgelegten Kilometern das Recht habe, „sich mit einer Frau zu vergnügen oder etwas Kleingeld zu ergattern“. Milovan Djilas erinnerte sich daran, wie Stalin bei einem offiziellen Treffen seine Frau zur Begrüßung küsste und anschließend scherzte, dass er diese Geste der Liebe „auf die Gefahr hin, der Vergewaltigung beschuldigt zu werden“, gemacht habe¹⁷.

Nicht, dass Stalin die Aggression gegen die Zivilbevölkerung gefördert hätte: Im Frühjahr 1945 forderte er persönlich eine Änderung in der Behandlung der Kriegsgefangenen und der deutschen Zivilbevölkerung¹⁸.