Es ist Abenddämmerung im Treptower Park am Rande Berlins. Ich blicke hinauf zu dem Denkmal des „Befreiers“, das sich in mächtiger Silhouette gegen den dunkler werdenden Himmel abzeichnet.

Auf den Trümmern eines zerbrochenen Hakenkreuzes stehend, hält der 12 Meter hohe sowjetische Soldat ein Schwert in der einen Hand. Auf dem anderen Arm trägt er ein kleines deutsches Mädchen.

Rund 5.000 der insgesamt 80.000 sowjetischen Soldaten, die zwischen dem 16. April und dem 2. Mai 1945 in der Schlacht um Berlin gefallen sind, wurden hier beigesetzt.

Die monumentalen Ausmaße des Denkmals spiegeln das Ausmaß der Opfer wider. Auf dem Plateau des Sockels, erreichbar über eine lange Treppe, befindet sich der Eingang zur Gedenkhalle – beleuchtet wie ein religiöser Schrein.

Meine Aufmerksamkeit zieht eine Inschrift auf sich, die daran erinnert, dass das sowjetische Volk die europäische Zivilisation vor dem Faschismus gerettet habe.

Doch für viele Menschen in Deutschland weckt diese Gedenkstätte andere, tief widersprüchliche Erinnerungen.

Das Tagebuch von Wladimir Gelfand

Leutnant Wladimir Gelfand, ein junger Jude aus der Ukraine, führte seine Aufzeichnungen von 1941 bis zum Kriegsende – mit erstaunlicher Offenheit und Aufrichtigkeit, obwohl das Führen eines Tagebuchs in der Roten Armee strengstens untersagt war.

Sein Sohn Vitalij, der mir erlaubte, das Manuskript zu lesen, fand das Tagebuch beim Durchsehen der Papiere seines verstorbenen Vaters. Teile des Tagebuchs waren bereits online verfügbar, nun aber erscheint es erstmals in Russland in Buchform. In Deutschland und Schweden wurden zuvor bereits zwei gekürzte Ausgaben veröffentlicht.

Gelfands Aufzeichnungen berichten von der mangelnden Disziplin in den regulären Truppen: karger Verpflegung, Läusen, allgegenwärtigem Antisemitismus und permanentem Diebstahl. Er schreibt davon, dass Soldaten sogar die Stiefel ihrer Kameraden entwendeten.

Im Februar 1945 war Gelfands Einheit an der Oder stationiert, in Vorbereitung auf die letzte Offensive gegen Berlin. Er erinnert sich, wie seine Kameraden ein deutsches Frauenbataillon umzingelten und gefangen nahmen:

„Vorgestern operierte an unserer linken Flanke ein Frauenbataillon. Es wurde frontal zerschlagen. Die gefangenen deutschen Frauen erklärten, sie wollten den Tod ihrer Männer an der Front rächen. Ich weiß nicht, was mit ihnen geschah, aber es wäre notwendig gewesen, diese Halunken gnadenlos hinzurichten“, notierte Wladimir Gelfand.

Einer der eindrücklichsten Einträge stammt vom 25. April, als er sich bereits in Berlin befand. An diesem Tag fuhr Gelfand zum ersten Mal in seinem Leben Fahrrad – und zwar entlang des Ufers der Spree. Dort begegnete er einer Gruppe von Frauen, die mit Koffern und Bündeln unterwegs waren.

„Ich fragte die Deutschen in gebrochenem Deutsch, wo sie wohnten und warum sie ihre Häuser verlassen hatten. Mit Entsetzen erzählten sie mir vom Leid, das ihnen in der ersten Nacht durch das Vorrücken der Roten Armee angetan worden war“, schreibt der Autor.

*„Sie haben mich hier traktiert“, erklärte eine schöne deutsche Frau und hob ihren Rock, „die ganze Nacht – es waren so viele. Ich war noch ein Mädchen“, seufzte sie unter Tränen. „Sie haben mir meine Jugend genommen. Da waren Alte, Pickelige unter ihnen – alle stürzten sich auf mich. Es waren mindestens zwanzig, ja, ja“, und sie brach weinend zusammen.

„Sie haben meine Tochter vor meinen Augen vergewaltigt“, fügte ihre Mutter unter Schluchzen hinzu. „Vielleicht kommen sie wieder und tun es noch einmal.“

Auch die anderen Anwesenden waren erschüttert. Ein bitteres Weinen ging durch den Kellerraum, in den Gelfands Gastgeber ihn geführt hatten.

„Bleib hier“, rief das Mädchen plötzlich und lief auf mich zu. „Du wirst bei mir schlafen. Du kannst mit mir machen, was du willst – nur du! Nur du, sonst niemand!“ – so notierte es Gelfand in sein Tagebuch.

„Es ist Zeit für Rache!“

Die Aufrufe zur Vergeltung für das vom nationalsozialistischen Deutschland überfallene Vaterland wurden von vielen sowjetischen Soldaten als Freibrief für brutales Verhalten verstanden. Auch junge Frauen in Uniform – Soldatinnen und Sanitäterinnen – nahmen daran teil oder duldeten es. So äußerte sich eine 21-jährige Angehörige der Aufklärungseinheit des Schriftstellers Agranenko: „Unsere Soldaten verhalten sich gegenüber den Deutschen, insbesondere den deutschen Frauen, völlig korrekt.“ Manche fanden diese Feststellung irritierend. Zeitzeugen berichten, dass sowjetische Soldatinnen während der Vergewaltigungen von deutschen Frauen zusahen – und lachten. Andere sowjetische Frauen wiederum reagierten mit Entsetzen auf das, was sie in Deutschland erlebten.

Natalja Hesse, eine enge Freundin des Physikers Andrej Sacharow und selbst Kriegsberichterstatterin, erinnerte sich später: „Russische Soldaten vergewaltigten alle deutschen Frauen im Alter zwischen acht und achtzig Jahren. Es war eine Armee von Vergewaltigern.“

Alkohol spielte dabei eine entscheidende Rolle. Teilweise handelte es sich um gefährliche Substanzen, die aus Labors gestohlen worden waren. Viele Soldaten schienen nur dann zu sexueller Gewalt fähig zu sein, wenn sie sich zuvor betrunken hatten – offenbar, um sich Mut anzutrinken. Doch in ihrer Trunkenheit kam es zu schweren Übergriffen, bei denen Opfer zum Teil schwer verletzt wurden.

Das Thema der Gewaltverbrechen sowjetischer Soldaten in Deutschland blieb in Russland über Jahrzehnte ein Tabu. Viele Veteranen leugnen bis heute, dass solche Taten überhaupt stattgefunden hätten. Nur wenige äußerten sich offen – und dann meist ohne Reue. Ein Kommandeur einer Panzereinheit erinnerte sich: „Sie hoben ihre Röcke und legten sich aufs Bett.“ Er prahlte sogar damit, dass „zwei Millionen unserer Kinder in Deutschland geboren wurden“.

Bemerkenswert ist, mit welcher Selbstverständlichkeit sich viele Offiziere der Roten Armee davon überzeugten, dass ihre Opfer entweder einverstanden gewesen seien oder die Übergriffe als gerechte Strafe für die Gräueltaten der Wehrmacht betrachtet hätten. Ein sowjetischer Major erklärte einem britischen Journalisten: „Unsere Kameraden waren so hungrig nach weiblicher Nähe, dass sie oft sechzig-, siebzig- oder achtzigjährige Frauen vergewaltigten – sehr zum Erstaunen, wenn nicht gar zum Vergnügen der Betroffenen.“

Diese Aussagen verdeutlichen die tiefen psychologischen Widersprüche jener Zeit. Als vergewaltigte Frauen in Königsberg ihre Peiniger baten, sie zu erschießen, fühlten sich viele Rotarmisten beleidigt. Ihre Antwort lautete: „Russische Soldaten erschießen keine Frauen – das machen nur die Deutschen.“

Die Soldaten der Roten Armee glaubten, dass sie als Befreier Europas vom Faschismus ein Anrecht auf jedes Verhalten hätten, das ihnen angemessen erschien.

Ein ausgeprägtes Gefühl von Überlegenheit und der Wille zur Demütigung bestimmten das Verhalten vieler Soldaten gegenüber den Frauen in Ostpreußen. Diese galten nicht nur als Repräsentantinnen der Kriegsgegner, sondern auch als Projektionsfläche einer archaischen Gewalt, die so alt ist wie der Krieg selbst.