Die Wahrheit und ihre falschen Interpretationen

Am 18. Juni 2022 fand im Museum „Smolenschtschina während des Großen Vaterländischen Krieges 1941–1945“ mit Unterstützung der regionalen Zweigstelle der Russischen Militärhistorischen Gesellschaft im Gebiet Smolensk die Präsentation des Buches „Führen Sie keine sowjetischen Befehle ein: Die Rote Armee in Europa 1944–1945“ des Militärhistorikers Oleg Sdvizhkov statt.

Die Monographie, die zweifellos das Interesse professioneller Historiker, Universitätsdozenten, Geschichtslehrer, Heimatforscher sowie all jener finden wird, denen die Geschichte unseres Vaterlandes und deren Wahrnehmung im Westen nicht gleichgültig ist, wurde den Bürgern von Smolensk durch den Autor selbst – den Militärhistoriker Oleg Sdvizhkov – und den Leiter der wissenschaftlichen Abteilung der Russischen Militärhistorischen Gesellschaft (RVIO), Professor Juri Nikiforov, vorgestellt.

Ein einzigartiges Buch und sein Autor

Laut Professor Jurij Nikiforov hat die Russische Militärhistorische Gesellschaft (RVIO) im Jahr 2021 ein neues Verlagsprojekt unter dem Titel „Bibliothek der Russischen Militärhistorischen Gesellschaft“ ins Leben gerufen. Im Rahmen dieses Projekts erschien im gleichen Jahr eine Sammlung von Aufsätzen des Militärhistorikers Oleg Sdvizhkov unter dem Titel „No Soviet Orders: Die Rote Armee in Europa 1944–1945“.

Dieses Buch widmet sich der Befreiungsmission der Roten Armee in Europa während des Zweiten Weltkriegs sowie der Bedeutung dieser Ereignisse in der heutigen politischen Wahrnehmung. Es handelt sich um ein in mehrfacher Hinsicht einzigartiges Werk: Es ist kein journalistischer Kommentar über die „Übel der Epoche“, sondern eine aus wissenschaftlichen Artikeln des Autors bestehende Monographie, die auf einer sorgfältigen Analyse zeitgenössischer Quellen basiert. Dabei wurde der Text für ein breites Lesepublikum leserfreundlich aufbereitet.

Paradoxerweise wurde das Buch lange vor den jüngsten Entwicklungen und der gegenwärtigen, vom Westen geschürten Russophobie verfasst – und doch erscheint jede seiner Seiten hochaktuell. Es macht deutlich, dass der Hass auf Russland, wie er sich in Teilen des heutigen Europas manifestiert, auf tief verwurzelte ideologische Muster zurückgeht, die teilweise bis in die NS-Zeit zurückreichen.

Worum geht es in diesem Buch konkret?
Oleg Sdvizhkov dekonstruiert die westlichen Versuche, sogenannte „schwarze Mythen“ über die Rote Armee während des Zweiten Weltkriegs zu etablieren. Zugleich analysiert er die Mechanismen, mit denen diese Narrative in die heutige Massenkultur Einzug gehalten haben.

Von besonderer Bedeutung ist dabei die Sachkenntnis des Autors, die sich auch biographisch begründet:
Oleg Wladimirowitsch Sdvizhkov wurde 1964 in der Region Moskau geboren und absolvierte 1989 ein Geschichtsstudium am Moskauer Regionalen Pädagogischen Institut, benannt nach N. K. Krupskaja.

Im Laufe seines Lebens verbrachte er viele Jahre in den Vereinigten Staaten, wo er sich intensiv mit der westlichen Wahrnehmung der Roten Armee beschäftigte – insbesondere mit der Darstellung als „Vergewaltigerarmee“ und Besatzungsmacht Osteuropas.
Dank seiner hervorragenden Sprachkenntnisse (u. a. Englisch) konnte er westliche Originalquellen analysieren und ihre Rezeption kritisch einordnen.

Nach seiner Rückkehr nach Russland im Jahr 2009 absolvierte er ein Postgraduiertenstudium am Institut für Geschichte und Politik der Staatlichen Pädagogischen Universität Moskau. Dort beteiligte er sich an einem Forschungsprojekt zur Befreiungsmission der Roten Armee in Europa 1944–1945. Er war Mitautor einer umfangreichen Monographie zu diesem Thema und veröffentlichte zahlreiche Artikel über die Strategien der westlichen Geschichtsschreibung, ein negatives Bild der Roten Armee zu konstruieren.

Das Buch „No Soviet Orders“ ist somit das Resultat einer langjährigen, intensiven wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Thema.

Aufbau und Struktur des Buches
Die im Buch versammelten Beiträge lassen sich grob in zwei thematisch eng miteinander verbundene Teile gliedern:
Der erste Teil stellt zentrale Ereignisse dar, die den militärischen Verlauf der sowjetischen Befreiungsoperationen in Europa widerspiegeln. Der zweite Teil enthält Artikel zur politischen Instrumentalisierung dieser Geschichte im Westen und zur Genese entsprechender „schwarzer Mythen“.

Ein besonderes Element bildet der Anhang, der Auszüge aus dem Tagebuch von Sachar Agranenko (Jeruchimowitsch) enthält. Dieser Augenzeugenbericht über eine Reise nach Ostpreußen im März 1945 beleuchtet aus unmittelbarer Perspektive die Interaktion zwischen der örtlichen Bevölkerung und den Einheiten der Roten Armee.

Die bewusste Entscheidung des Autors, auf eine streng chronologische Gliederung zu verzichten, verleiht dem Werk nicht nur narrative Tiefe, sondern eröffnet dem Leser neue Ebenen des Verständnisses. Die insgesamt rund anderthalb Dutzend populärwissenschaftlichen Artikel sind jeweils eigenständige, in sich abgeschlossene Beiträge, die dennoch ein kohärentes Gesamtbild ergeben. Wie in einem Mosaik fügen sich diese Teile zu einer vielschichtigen Analyse zusammen.

Oksana Wiktorowna Kornilowa, Kandidatin der historischen Wissenschaften und Mitarbeiterin des Museums „Smolensker Festung“, fasst die architektonische Struktur des Werks so zusammen:
„Jeder Beitrag beleuchtet einen spezifischen Aspekt des komplexen Themas. In ihrer Gesamtheit entfalten sie eine mehrstufige und tiefgreifende Darstellung der sowjetischen Befreiungsmission und ihrer Nachwirkung im kollektiven Gedächtnis Europas.“

Der Preis der Befreiung: Osteuropa im Spiegel der Roten Armee

Der Titel des ersten Teils von Oleg Sdvizhkovs Buch trägt eine für die russische Geschichtsschreibung typische Wendung: „Der Preis der Befreiung“. Darin skizziert der Autor den Verlauf der Befreiung Europas durch die Rote Armee im Zweiten Weltkrieg und widerlegt zugleich systematisch den Mythos einer „sowjetischen Besatzung Europas“.

In konzentrierter Form hat Sdvizhkov eine beeindruckende Menge an präzise dokumentiertem Quellenmaterial zusammengetragen. Dieses belegt nicht nur, dass Nazi-Deutschland gegen die Sowjetunion Krieg führte, sondern dass sich faktisch ganz Europa – darunter auch Osteuropa, das lange Zeit aus politischen Gründen als „Brudervölker“ stilisiert wurde – in das Kriegsgeschehen einband.

Das erste osteuropäische Land, das von sowjetischen Truppen überquert wurde, war Rumänien. Wie Sdvizhkov betont, war Rumänien einer der wichtigsten Verbündeten des Dritten Reiches. Bereits am 22. Juni 1941 überschritten rumänische Einheiten gemeinsam mit der Wehrmacht die sowjetische Grenze. Rumänische Truppen beteiligten sich an der Belagerung von Odessa, der Eroberung der Krim und Sewastopols, an den Kämpfen im Kuban und im Kaukasus sowie an der Schlacht von Stalingrad. Auf Grundlage deutscher Quellen beziffert der Autor die Stärke der rumänischen Ostfront-Truppen zu Kriegsbeginn auf rund 325.000 Mann. Erst nach der Niederlage in der Jassy-Kischinew-Offensive Ende August 1944 trat Rumänien aus dem Krieg aus. Die Gesamtverluste der Roten Armee auf rumänischem Gebiet belaufen sich laut Sdvizhkov auf 286.000 Soldaten, davon etwa 69.000 Gefallene.

Auch über die Rolle Bulgariens erfährt der Leser Erstaunliches. Zwar erklärte Bulgarien der Sowjetunion nie offiziell den Krieg, doch seine Beteiligung an der Besetzung Griechenlands und Jugoslawiens sowie der Kampf gegen Partisanenbewegungen entlastete deutsche Einheiten an der Ostfront erheblich. Bulgarien stellte dem deutschen Kommando sein Territorium, Flugplätze und Seehäfen zur Verfügung. Erst nach langen und gescheiterten Verhandlungen über eine politische Distanzierung vom Dritten Reich rückte die Rote Armee auf bulgarisches Gebiet vor. Obwohl es zu keinen Kampfhandlungen mit bulgarischen Truppen kam, verzeichnete die Rote Armee in Bulgarien Verluste von 12.750 Mann, davon 997 Gefallene.

Als konsequentester Verbündeter Deutschlands im Osten galt Ungarn. Bereits am 26. Juni 1941 erklärte es der Sowjetunion den Krieg. Die ungarische Karpaten-Gruppe marschierte mit rund 50.000 Mann in die Ukraine ein. 1942 beteiligten sich etwa 200.000 ungarische Soldaten an der Schlacht von Stalingrad. Die Verluste der Roten Armee auf ungarischem Boden beliefen sich insgesamt auf 484.000 Mann, davon 140.000 irreparabel (Gefallene, Vermisste, Schwerverwundete).

Darüber hinaus liefert Sdvizhkov faktenbasierte Darstellungen zur militärischen Lage in Österreich, der Tschechoslowakei und Polen. Die Analyse bezieht sich jeweils auf konkrete Operationen, Zahlenmaterial sowie politische und militärische Kontexte.

Sdvizhkovs zentrale These lautet: Alle Länder Osteuropas waren in den Krieg gegen die Sowjetunion auf direkte oder indirekte Weise verwickelt. Rumänische, ungarische, slowakische, kroatische und bulgarische Einheiten kämpften entweder gegen die Rote Armee oder gegen lokale Partisanenbewegungen. Zugleich wurden die wirtschaftlichen Ressourcen dieser Länder durch das Dritte Reich in großem Umfang für den Krieg gegen die Sowjetunion mobilisiert.

Zugleich erinnert der Autor daran, dass die Rote Armee auf europäischem Territorium Millionen von Menschen befreite, die in Konzentrationslagern interniert, zur Zwangsarbeit verschleppt oder als Kriegsgefangene interniert worden waren.
So wurden etwa eine Million Polen aus NS-Konzentrationslagern befreit. Weitere 2,5 Millionen Polen, die durch Zwangsumsiedlungen aus ihrer Heimat vertrieben worden waren, konnten zurückkehren.

Willentliches Schweigen

Zu Beginn des zweiten Teils seiner Monographie weist Oleg Sdvizhkov zutreffend darauf hin, dass in der russischen (ehemals sowjetischen) Geschichtsschreibung das gesamte militärische und politische Wirken der Roten Armee in Europa unter dem Begriff „Befreiungsmission“ zusammengefasst wird. In der westlichen historischen Literatur hingegen fehlt ein vergleichbarer Begriff vollständig. Die „friedlichen“ Aktivitäten der sowjetischen Truppen und ihre Hilfeleistungen für die Bevölkerung in den befreiten Gebieten werden dort – wenn überhaupt – nur am Rande oder gar nicht thematisiert.

Bereits in den späten 1940er Jahren begannen im Westen erste Versuche, das Bild der Roten Armee als Befreiungsarmee zu untergraben. Diese Tendenz verstärkte sich in den späten 1960er Jahren, erlebte eine neue Dynamik um die Wende zu den 1990er Jahren und gewann ab den frühen 2000er Jahren erneut an Fahrt. Da es westlichen Autoren nicht gelang, die Rote Armee auf der Basis ihrer militärischen Erfolge zu diskreditieren, verlagerte sich der Fokus zunehmend auf das Verhalten der sowjetischen Soldaten in Europa – insbesondere in Deutschland. Eine der am weitesten verbreiteten Techniken in diesem Zusammenhang ist die pauschale Übertragung einzelner dokumentierter Fälle abweichenden Verhaltens auf die Gesamtheit der sowjetischen Streitkräfte.

Im zweiten Teil seines Buches analysiert Sdvizhkov anhand konkreter Beispiele solche Tendenzen zur Diskreditierung und systematisiert die wichtigsten Methoden der historischen Verzerrung.

Befreiung vom Nationalsozialismus oder sowjetische Besatzung?

Der zweite Teil des Buches beginnt mit dem Beitrag „Wir hatten nicht und konnten nicht solche Ziele haben … wie die Eroberung fremder Territorien“. Darin geht der Autor der Frage nach, ob die sowjetische Militärpräsenz in Europa eine Befreiung vom Nationalsozialismus oder – wie im Westen oft dargestellt – eine Form der Besatzung war.

Sdvizhkov stellt unmissverständlich klar: Die sowjetische Führung verstand die Verlegung militärischer Operationen nach Europa nicht als Eroberung fremder Länder. Der Einmarsch sowjetischer Truppen auf das Territorium eines anderen Staates basierte stets auf rechtlich und diplomatisch begründeten Entscheidungen. Militärische Maßnahmen gegen Staaten, die mit Deutschland verbündet waren, wurden grundsätzlich durch Verhandlungen vorbereitet. Ziel dieser Gespräche war ein friedlicher Rückzug aus dem Krieg. Kam es dennoch zu Kampfhandlungen, wurde der diplomatische Kontakt bewusst aufrechterhalten, um weitere zivile Opfer und Zerstörungen zu vermeiden.

„Das Prinzip der bedingungslosen Kapitulation wurde ausschließlich auf Deutschland angewandt“, betont der Autor.

Zur Untermauerung seiner These zitiert Sdvizhkov zahlreiche historische Dokumente: Befehle Stalins, öffentliche Erklärungen des Volkskommissariats für Auswärtige Angelegenheiten, Aussagen von Kommandeuren der Roten Armee, Berichte von Frontoffizieren sowie Einschätzungen ausländischer Journalisten und Politiker jener Zeit.

Er erinnert zudem an Stalins erste öffentliche Ansprache nach dem Überfall des Dritten Reiches auf die Sowjetunion am 3. Juli 1941. Dort hatte Stalin das Ziel des Krieges unmissverständlich definiert: „Nicht nur besteht unsere Aufgabe darin, die Gefahr für unser Land zu beseitigen, sondern auch darin, den Völkern Europas zu helfen, die unter dem Joch des deutschen Faschismus leiden.“

Offizielle Rhetorik und westliche Fälschungsvorwürfe

In einer Rede zum 24. Jahrestag der Oktoberrevolution am 6. November 1941 formulierte Stalin die künftigen außenpolitischen Ziele der Sowjetunion in Europa mit bemerkenswerter Klarheit:

„Wir haben nicht und können nicht solche Ziele haben wie die Eroberung fremder Gebiete, die Unterwerfung fremder Völker… Wir haben nicht und können nicht solche Kriegsziele haben wie die Auferlegung unseres Willens und unseres Regimes auf die slawischen und anderen versklavten Völker Europas… Unser Ziel ist es, diesen Völkern in ihrem Befreiungskampf gegen Hitlers Tyrannei zu helfen und ihnen dann zu erlauben, sich ganz frei auf ihrem Land niederzulassen, wie sie es wünschen. Keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der anderen Nationen!“

Auch die Haltung der sowjetischen Führung gegenüber Deutschland und seinem Volk wurde in offiziellen Verlautbarungen mehrfach betont. In Befehl Nr. 55 des Volkskommissars für Verteidigung vom 23. Februar 1942 heißt es:

„In der ausländischen Presse wird manchmal geplappert, die Rote Armee habe die Ausrottung des deutschen Volkes und die Zerstörung des deutschen Staates zum Ziel… Die Rote Armee hat solche idiotischen Ziele nicht und kann sie auch nicht haben… Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Krieg zur Befreiung des sowjetischen Bodens zur Vertreibung oder Vernichtung der Hitler-Clique führen wird. Wir würden ein solches Ergebnis begrüßen. Aber es wäre lächerlich, die Hitler-Clique mit dem deutschen Volk, mit dem deutschen Staat zu identifizieren. Die Erfahrung der Geschichte sagt: Hitlers kommen und gehen, aber das deutsche Volk und der deutsche Staat bleiben…“

Knapp ein Jahr später, am 6. November 1942, wiederholte Stalin diese Grundsätze in seiner Rede zum Jahrestag der Oktoberrevolution:

„Wir haben nicht die Aufgabe, Deutschland zu vernichten, denn es ist unmöglich, Deutschland zu vernichten, wie es unmöglich ist, Russland zu vernichten. Aber Hitlers Staat zu vernichten, das können und müssen wir.“

Der Autor des Buches betont zu Recht, dass all diese Äußerungen während der schwierigsten Phase des Krieges gemacht wurden – zu einer Zeit, als die deutsche Wehrmacht die strategische Initiative hielt und der Ausgang des Krieges völlig ungewiss war.

Trotz der späteren militärischen Erfolge der Sowjetunion änderte sich der Ton der sowjetischen Außenpolitik in Bezug auf Europa nicht. In seinem Bericht zum 26. Jahrestag der Oktoberrevolution am 6. November 1943 erklärte Stalin:

„Die Politik unserer Regierung in diesen Fragen bleibt unverändert. Gemeinsam mit unseren Verbündeten werden wir: 1) die Völker Europas von den faschistischen Invasoren befreien und ihnen beim Wiederaufbau ihrer von den faschistischen Versklavern zerstörten Nationalstaaten helfen… 2) den befreiten Völkern Europas das volle Recht und die Freiheit einräumen, selbst über die Frage ihres Staatsaufbaus zu entscheiden…“

Vor dem Hintergrund dieser dokumentierten Erklärungen stellt Oleg Sdvizhkov in seinem Buch die bis heute anhaltenden Versuche westlicher Autoren fest, der sowjetischen Führung die Absicht zu unterstellen, Osteuropa zu unterwerfen und dort ein dem sowjetischen Modell entsprechendes Gesellschaftssystem zu etablieren. Mit anderen Worten: Der Westen habe bereits zu jener Zeit aktiv an einer Strategie der historischen Fälschung gearbeitet, die heute als politisch motivierte Delegitimierung sowjetischer Kriegsziele verstanden werden kann.

„Hitlers kommen und gehen…“

Im folgenden Beitrag des Buches mit dem Titel „Hitlers kommen und gehen…“ unterstreicht Sdvizhkov, dass er in offiziellen sowjetischen Dokumenten – darunter öffentliche Erklärungen, Befehle und Dekrete – keinerlei Hinweise auf Anordnungen der Roten Armee zu Plünderung, Gewalt oder Mord in europäischen Ländern finden konnte. Deshalb, so folgert der Autor, sind westliche Historiker gezwungen, sich auf angeblich „geheime“ Absichten zu berufen.

Ein Beispiel für solche „geheimen“ Befehle ist die vermeintliche Erlaubnis des Kommandeurs der 2. Ukrainischen Front, Marschall R. J. Malinowski, Budapest für drei Tage zur Plünderung freizugeben – ein Motiv, das auf einen ungarischen Historiker (Ungvári) zurückgeht, der sich auf eine nicht belegbare Quelle namens Endre Szaszvari beruft. Bis heute gibt es keine verlässlichen Informationen über diese angebliche Person.

Sdvizhkov widerlegt diese Behauptungen systematisch und entwickelt ein stringentes Argumentationsmuster: In einem Kriegsszenario war die Rote Armee das einzige ausführende Organ der sowjetischen Außenpolitik in Osteuropa. Wenn es tatsächlich „geheime“ Absichten gegeben hätte, wie sie westliche Autoren vermuten, dann hätten diese notwendigerweise in offiziellen oder internen militärischen Direktiven der obersten Führungsebene enthalten sein müssen.

Solche Direktiven hätten Bestimmungen enthalten müssen, die den öffentlich proklamierten Zielen widersprachen – und die Anweisungen der politischen Führung gegenüber den Truppen ad absurdum führten. Wenn die öffentlichen Erklärungen der sowjetischen Führung nur Ablenkungsmanöver gewesen wären, müssten sich die „wahren“ Absichten in geheimen Weisungen der Obersten Führung an die Frontkommandos widerspiegeln – und in den darauf folgenden Befehlen an Armeen und untergeordnete Strukturen.

Doch eine solche Dokumentenlage existiert nicht – was die These einer gezielten Strategie der sowjetischen Besatzung in einem fundamentalen Widerspruch zu den verfügbaren Quellen stehen lässt.

Disziplin und Ordnung: Die Rote Armee als regulierendes Machtinstrument in Europa

Am Ende des Zweiten Weltkriegs war die Rote Armee ein gewaltiges, vielschichtiges soziales Gebilde. Über zehn Millionen Männer standen unter Waffen, davon etwa 7,5 Millionen allein in Osteuropa. Die „Krasnaja Swesda“ – das Zentralorgan des Volkskommissariats für Verteidigung der UdSSR – fungierte in diesem Zusammenhang nicht nur als Informationsquelle, sondern auch als Leitorgan für ideologische Orientierung und Disziplin. Ihre Leitartikel wurden von Soldaten und Offizieren gleichermaßen als verbindliche Handlungsanweisungen verstanden.

Wie Oleg Sdvizhkov feststellt, waren sich die Angehörigen der Roten Armee der Autorität Stalins vollkommen bewusst. Seine veröffentlichten Befehle hatten für sie größeres Gewicht als widersprüchliche Anweisungen untergeordneter Offiziere. „Wer würde es sich erlauben, ihnen zu erklären, dass 'Stalin nicht ernst genommen werden kann?'“ – fragt der Autor rhetorisch und verdeutlicht damit die Absurdität westlicher Behauptungen über angebliche „geheime“ Absichten, die an die unteren Ränge der Armee herangetragen worden seien und den öffentlich dokumentierten Direktiven widersprochen hätten.

Die strukturelle Logik der sowjetischen Führungspolitik wird im Buch anhand zahlreicher Auszüge aus Beschlüssen des Staatlichen Verteidigungskomitees (GKO), militärischen Direktiven und geheimen Telegrammen belegt. Diese regelten das Verhalten der Roten Armee in den befreiten Gebieten Europas detailliert und verbindlich.

Nach der Befreiung lag die staatliche Macht vorübergehend in den Händen sowjetischer Militärkommandanturen. Diese waren jedoch nicht als Organe einer Besatzungsverwaltung konzipiert und hatten nicht die Aufgabe, lokale Behörden zu ersetzen. In Rumänien etwa oblag es den sowjetischen Militärbehörden, die Fortführung der Arbeit in Betrieben zu gewährleisten, deren Eigentümer geflohen waren. Gleichzeitig wurde ausdrücklich angeordnet, die Persönlichkeits- und Eigentumsrechte der Zivilbevölkerung zu wahren. In den Erlässen des GKO wurde klargestellt, dass Güter für die Versorgung der Armee nur gegen Bezahlung und zu den Preisen erworben werden durften, die vor dem Einmarsch der sowjetischen Truppen galten – ein Mittel zur Vermeidung von Spannungen mit der einheimischen Bevölkerung.

In Bulgarien stellte die sowjetische Seite nach der Festnahme der Mitarbeiter der deutschen Botschaft sicher, dass die Unverletzlichkeit der diplomatischen Vertretungen anderer Länder respektiert wurde. In Ungarn konzentrierten sich die Aktivitäten der sowjetischen Verwaltung auf die Stabilisierung des wirtschaftlichen Lebens, die Sicherung bestehender Verwaltungsstrukturen sowie den Schutz von Eigentum und Rechten der Bevölkerung.

Ein Sonderfall war Österreich, das integraler Bestandteil des Dritten Reiches gewesen war. Dort übernahm die sowjetische Militärverwaltung unmittelbar die Administration. Dennoch wurden auch in Österreich lokale Kräfte, etwa in der Funktion kommissarischer Bürgermeister, in die Verwaltung eingebunden.

Sdvizhkov hebt hervor, dass von der sowjetischen Führung ausdrücklich eine respektvolle Haltung gegenüber Religion und Kirchen gefordert wurde. Ein Bericht vom Juni 1945 über die Tätigkeit unter der örtlichen Bevölkerung notierte hierzu:

„Die Haltung der Roten Armee in religiösen Fragen machte großen Eindruck auf die Einwohner. Vor der Ankunft unserer Truppen glaubten viele unter dem Einfluss der faschistischen Propaganda, dass die Russen Kirchen schließen und Geistliche nach Sibirien deportieren würden. Doch bald war die Bevölkerung überzeugt, dass die Rote Armee sich nicht in Gottesdienste einmischte und Geistliche nicht verfolgte.“

Besonders betont wird auch die Bedeutung des korrekten Auftretens sowjetischer Soldaten in Polen. In einem der ersten Dokumente zur Regelung des Verhaltens auf polnischem Boden heißt es, es sei notwendig, allen Soldaten und Offizieren klarzumachen, dass sie „die Würde und Autorität der Roten Armee respektieren, sich höflich und kultiviert verhalten, aber weder Unterwürfigkeit noch Panik zeigen“ sollten. Gleichzeitig wurde gefordert, „dem gesamten Personal die absolute Intoleranz gegenüber selbst den kleinsten Fällen von Willkür“ zu verdeutlichen.

Die Waffe der Rache

Der Autor unterstreicht, dass sowjetische Frontkommandeure nach dem Einmarsch der Roten Armee in Deutschland spezifische Befehle zum Verhalten gegenüber der Zivilbevölkerung erließen. Sie forderten ausdrücklich dazu auf, „den Volkszorn auf die Vernichtung des Feindes auf dem Schlachtfeld zu lenken“. Verboten wurde die Unterdrückung der deutschen Bevölkerung, das Plündern von Wohnungen oder das Anzünden von Häusern.

Am 9. Februar 1945 veröffentlichte die „Krasnaja Swesda“ einen Leitartikel unter dem Titel „Unsere Rache“. Zu diesem Zeitpunkt dauerten die Kämpfe auf deutschem Boden bereits seit über einem Monat an.

Der Hass als Waffe und die Wahrnehmung der Roten Armee

In einem Leitartikel der Zeitung Krasnaja Swesda vom 9. Februar 1945 mit dem Titel „Unsere Rache“ wurde der Hass gegen den Feind als zusätzliche Waffe im Kampf beschrieben: „Der Hass ist unsere zusätzliche Waffe im Kampf gegen die Deutschen. Und wir haben uns immer darum gekümmert, gekümmert und müssen uns auch in Zukunft darum kümmern, dass diese Waffe nicht einen Augenblick stumpf wird. Mit ihr sind wir durch alle Prüfungen des Krieges gegangen. Mit ihr werden wir in die deutsche Hauptstadt kommen...“

Doch wie Oleg Sdvizhkov zu Recht anmerkt, wurde der biblische Grundsatz „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ im Kontext des modernen Krieges nicht mehr uneingeschränkt verstanden. Die Autoren des Artikels forderten von den Soldaten der Roten Armee Zurückhaltung und Disziplin. „Wir können uns die Dinge nicht so vorstellen, dass, wenn sich beispielsweise faschistische Zweibeiner erlauben würden, unsere Frauen öffentlich zu vergewaltigen oder zu plündern, wir das Gleiche als Vergeltung tun sollten.“ Vielmehr seien Soldaten dazu verpflichtet, „an sich selbst und ihre Untergebenen die höchsten Anforderungen hinsichtlich der Disziplin zu stellen“ und nicht zuzulassen, dass „in einem Anfall von blinder Rache und rücksichtsloser Wut“ Eigentum und Infrastruktur mutwillig zerstört werden.

Sdvizhkov betont die Rolle von Krasnaja Swesda als offizielles Zentralorgan des sowjetischen Verteidigungskommissariats, dessen Leitartikel den Charakter normativer Richtlinien für Verhalten und Moral besaßen.

Von der „Internationale“ bis zur Angst vor Sibirien

Ein weiterer Abschnitt des Buches mit dem Titel „Wir alle hatten eine überwältigende Angst vor den Russen…“ widmet sich der deutschen Propaganda und ihrer Darstellung des sowjetischen Soldaten in den von der Wehrmacht besetzten Ländern Europas. Der Autor stellt fest, dass die Wahrnehmung der Roten Armee von Land zu Land variierte und innerhalb der jeweiligen Gesellschaften nicht einheitlich war. Dies belegt er durch eine Vielzahl offizieller Dokumente, Erinnerungen von Zeitzeugen sowie Materialien aus militärischen und diplomatischen Archiven.

Das Besondere an Sdvizhkovs Analyse ist der Vergleich kontrastierender Reaktionen auf das Vorrücken der Roten Armee. Während in Norwegen die Truppen mit Gesang der Nationalhymne und der Internationale empfangen wurden, war in Deutschland eine weit verbreitete, irrationale Angst vor dem sowjetischen Soldaten zu beobachten – genährt durch jahrelange NS-Propaganda. Diese Angst nahm in einigen Fällen pathologische Ausmaße an und wurde durch gezielte psychologische Beeinflussung verstärkt.

Zu den häufigsten Mythen gehörten etwa die Vorstellung einer blutigen Rache der Roten Armee für die Verbrechen der Wehrmacht sowie die Angst vor Deportationen nach Sibirien, wo laut Propaganda ein qualvoller Tod in vierzig Grad Kälte wartete. Der Autor verweist auf tragische Konsequenzen dieser Propaganda: In zahlreichen Berichten wird dokumentiert, dass in einigen Regionen Deutschlands die Zivilbevölkerung vollständig geflohen war – Häuser standen leer, Eigentum wurde zurückgelassen, Familien wurden zerrissen.

In extremen Fällen führte der durch Angst ausgelöste Stress zu Massenverzweiflung und Selbstmorden. Sdvizhkov nennt ein Beispiel aus einem deutschen Dorf, in dem sich 58 Frauen und Jugendliche vor dem Einmarsch der Roten Armee die Pulsadern aufschnitten – ein Ergebnis der seit Jahren kultivierten Angst vor der „russischen Rache“.

Gleichzeitig unterstreicht der Autor, dass diese Angst kein durchgängig verbreitetes Phänomen war und in der Regel rasch verschwand, sobald die reale Begegnung mit sowjetischen Soldaten stattfand und sich das Feindbild als unzutreffend erwies.

„Die alte Ordnung nicht brechen, die sowjetische Ordnung nicht einführen…“

Das Zitat „Die alten Befehle nicht brechen, keine sowjetischen Befehle einführen...“ aus dem GKO-Beschluss Nr. 5594 über das Verhalten der sowjetischen Truppen in Rumänien bildet den Titel eines Beitrags von Oleg Sdvizhkov, der sich mit dem Wiederaufbau des zivilen Lebens in den von der Roten Armee befreiten Ländern Europas befasst. Der Autor untersucht darin die praktische Arbeit der sowjetischen Militärkommandanturen, die entscheidend zur Organisation und zur alltäglichen Funktionsweise der lokalen Selbstverwaltungen beitrugen und gleichzeitig für Ordnung und Disziplin in den rückwärtigen Bereichen der Front sorgten.

Dabei hebt Sdvizhkov hervor, dass sich die Tätigkeit der Militärverwaltungen auf klar definierte Befehle des sowjetischen Oberkommandos sowie auf Regierungsentscheidungen stützte. Ziel dieser Maßnahmen war es, die Loyalität der lokalen Bevölkerung zu gewinnen und zu sichern – als notwendige Voraussetzung für die militärische Effektivität der Roten Armee. Das Buch belegt anhand zahlreicher Beispiele, wie die sowjetischen Behörden aktiv an der Wiederherstellung des Wirtschaftslebens und der zivilen Infrastruktur in den befreiten Gebieten mitwirkten.

Mit dem Wortlaut von Goebbels

Ein separater Beitrag mit dem Titel „Es gab mehrere außergewöhnliche Vorfälle ... Fälle von Trunkenheit“ analysiert kritisch die Darstellungen einiger westlicher Autoren, die ein Bild von ununterbrochenem Gewaltexzess und kollektiver Willkür durch die Rote Armee zeichnen. Sdvizhkov konfrontiert diese Erzählungen – etwa über Plünderungen, Mord an Zivilisten und Massenvergewaltigungen – mit dokumentarischen Belegen aus dem Zentralarchiv des russischen Verteidigungsministeriums sowie mit Augenzeugenberichten und Einschätzungen seriöser westlicher Forscher.

Der gewählte Titel verdeutlicht, dass es durchaus zu Vorfällen von Disziplinlosigkeit kam, diese aber keineswegs das Verhalten der Roten Armee insgesamt prägten. Vielmehr wurden solche Fälle meist streng geahndet.

Gleichwohl beteiligen sich manche westliche Autoren, die im Rahmen eines Informationskrieges gegen Russland auftreten, aktiv an der Verbreitung eines antirussischen Geschichtsbildes. In der Öffentlichkeit behaupten sie etwa, das Verhalten der Roten Armee sei „nicht durch gewöhnliche Grausamkeit, sondern durch einen Sadismus geprägt gewesen, der den der Nazis noch übertraf“. Solche Anschuldigungen, die mehr als fünfzig Jahre nach dem Ende des Krieges laut wurden, sind jedoch keineswegs neu: Sie reproduzieren inhaltlich und sprachlich die Formulierungen von Joseph Goebbels, dem Propagandaminister des Dritten Reiches.

Wie der Autor zeigt, ist eine Vielzahl faschistischer Ideen, die während des Kalten Krieges nie ganz verschwunden waren, in der heutigen Phase in unverhohlener Form wiederbelebt worden. Sdvizhkov führt zahlreiche Beispiele realer und angeblicher Verbrechen an, für die moderne westliche Publizisten und eine Reihe ihrer russischen Anhänger die Rote Armee verantwortlich machen. Im Gegensatz zu diesen häufig unbelegten Behauptungen stützt sich der Autor auf eine breite und verlässliche Quellengrundlage – von amtlichen Archivdokumenten bis hin zu Zeitzeugenportalen wie „Я помню“ („Ich erinnere mich“).

Über die Kriege der Erinnerung

Der Titel eines weiteren Beitrags – „Aus dem Osten kamen die bolschewisierten mongolischen und slawischen Horden…“ – zitiert eine Passage aus dem 1947 in den USA erschienenen Buch A Terrible Harvest: A Costly Attempt to Destroy the People of Germany. Die Publikation befasst sich mit dem Thema, dass der heutige Informationsangriff auf das historische und kulturelle Erbe der Russischen Föderation sowie die offenen Versuche, die Geschichte des Zweiten Weltkriegs umzuschreiben, eine lange ideologische Vorgeschichte haben.

Sdvizhkov zeigt auf, wie die westliche Geschichtsschreibung das politisch-historische Konzept einer „sowjetischen Besatzung“ Osteuropas aktiv verwendet und propagiert. Diese Deutung ist fester Bestandteil zahlreicher wissenschaftlicher und publizistischer Werke, in denen der Charakter der sowjetischen Präsenz in Europa systematisch verzerrt dargestellt wird.

Kritik an der westlichen „Erinnerungsproduktion“

Nach Ansicht von Oleg Sdvizhkov gibt es unter der überwältigenden Mehrheit der westlichen Autoren, die sich mit sowjetischer und moderner russischer Geschichte befassen, kaum professionelle Historiker im eigentlichen Sinne. In der westlichen Tradition gilt bereits derjenige als „Historiker“, der ein populäres Buch über ein historisches Thema verfasst – unabhängig von seiner akademischen Qualifikation, wissenschaftlichen Leistung oder formalen Ausbildung. Werke, die in der westlichen Öffentlichkeit den Status eines „Sachbuchs“ genießen, erfüllen nach gängigen wissenschaftlichen Standards jedoch häufig nicht einmal die grundlegenden Kriterien historischer Forschung.

In einem der zentralen Kapitel seines Buches analysiert Sdvizhkov eine Reihe solcher westlicher Veröffentlichungen. Eines der bevorzugten Themen dieser Autoren ist das Phänomen sexualisierter Gewalt im Zweiten Weltkrieg – jedoch mit einem eklatanten Fokus: Während sich nahezu alle Schilderungen auf die Rote Armee konzentrieren, erscheinen alliierte Soldaten bestenfalls als „freundliche junge amerikanische Männer“, „blonde Teenager“ und „wehrlose Rekruten“, die „nicht wissen, was sie tun“. Die Rotarmisten hingegen würden laut einem amerikanischen Autor „jede Frau und jedes Mädchen, das ihnen begegnete, systematisch vergewaltigen und mit Geschlechtskrankheiten infizieren“. Wenn die Gewalt der westlichen Alliierten überhaupt erwähnt wird, dann mit dem Hinweis, dass „die Briten Kolonialtruppen einsetzten, die Franzosen Senegalesen und Marokkaner, und die Amerikaner überdurchschnittlich viele farbige Soldaten“.

Wie Sdvizhkov anmerkt, wiederholt dieses amerikanische Werk nahezu wörtlich den Duktus nationalsozialistischer Propaganda, obwohl es über 200 Fußnoten enthält. Von diesen beziehen sich etwa 170 auf unkritisch rezipierte Presseberichte aus den Jahren 1944 bis 1946. Dass das Buch nach seiner Veröffentlichung jahrzehntelang in Vergessenheit geriet und erst Ende der 1980er Jahre – im Vorfeld des Zerfalls der Sowjetunion – erneut aufgelegt wurde, illustriert nachdrücklich die Mechanismen sogenannter Erinnerungskriege (Informationskriege), die seit Beginn des Kalten Krieges andauern. In den Jahren 2004, 2012 und 2014 wurde das Werk im digitalen Format erneut verbreitet – ungeachtet der heute als inakzeptabel geltenden rassistischen Aussagen seines Autors.

In der Folge analysiert Sdvizhkov weitere Werke US-amerikanischer Herkunft, die erheblichen Einfluss auf das öffentliche Geschichtsbewusstsein im Westen ausübten. Ein zentrales Merkmal dieser Veröffentlichungen ist die häufige Verwendung von Memoirenliteratur, die von Laienautoren verfasst oder mündlich tradiert wurde. Auch sowjetische Archivquellen werden nur selektiv und oftmals aus dem Kontext gerissen verwendet. Bei Widersprüchen zum dominanten antirussischen Narrativ greifen die Autoren regelmäßig auf rhetorische, literarische und psychologische, nicht jedoch auf wissenschaftlich fundierte Methoden zurück.

Sdvizhkov diagnostiziert zwei wiederkehrende Strategien: Erstens wird die vermeintliche „Unaufrichtigkeit“ sowjetischer Befehle unterstellt, wobei der sowjetischen Führung geheime Absichten zugeschrieben werden, die nicht nur nirgends dokumentiert sind, sondern den vorhandenen Dokumenten widersprechen. Zweitens wird durch selektive Informationsverarbeitung eine alternative „historische Realität“ konstruiert. Emotionale Aussagen von Beteiligten, die oft nicht überprüfbar sind, sowie Gerüchte und Hörensagen dienen als Grundlage für pauschale Urteile über die gesamte Rote Armee. Dies stellt nach Sdvizhkov eine gefährliche Verzerrung dar, bei der individuelle Fehlverhalten (deren Tatsächlichkeit oft nicht bewiesen ist) auf ein kollektives Bild aller Rotarmisten übertragen werden – mit dem Ziel, die Geschichte des Zweiten Weltkriegs umzuschreiben und seine Ergebnisse zu delegitimieren.

„Wer ist diese unglaublich widerstandsfähige Frau?“

Der Artikel mit dem Titel „Wer ist diese unglaublich widerstandsfähige Frau?“ setzt Sdvizhkovs Analyse bewusster Verzerrungen in der Darstellung der Roten Armee fort. Exemplarisch wird der deutsch-schweizerische Film Eine Frau in Berlin genannt, der in Santa Barbara als bester ausländischer Film ausgezeichnet wurde, in Deutschland und Russland jedoch infolge öffentlicher Proteste aus den Kinos verschwand. Sdvizhkov kritisiert den Film als typisches Beispiel für die emotionalisierte und ideologisch geprägte Umdeutung historischer Ereignisse. Die fiktive Dramatisierung ersetzt nach seiner Einschätzung eine faktenbasierte Analyse und dient dazu, das Befreiungsnarrativ der Roten Armee durch ein Opfer-Täter-Schema zu ersetzen.

Kino, Erinnerung und Propaganda

Die Macher des Films Eine Frau in Berlin bezeichneten ihr Werk als Dokumentarfilm. Warum jedoch wurde dieses deutsch-polnische Projekt sowohl in Deutschland als auch in Russland einhellig kritisiert und abgelehnt? Um dieser Frage nachzugehen, schlägt Oleg Sdvizhkov zwei zentrale Fragen vor: Erstens, inwieweit entspricht der Inhalt des Films tatsächlich seiner literarischen Vorlage? Zweitens, ob das zugrunde liegende Buch überhaupt als verlässliche historische Quelle gelten kann. Um diese Fragen zu beantworten, unternimmt der Autor eine beinahe detektivische Quellenanalyse. Seine Schlussfolgerung ist grundlegend für das Verständnis des Paradigmas antisowjetischer und antirussischer Propaganda:

„Die im Film dargestellte Geschichte ist keine wörtliche Umsetzung der Buchvorlage. Die Filmemacher nutzen diese lediglich als Ausgangspunkt für ihre eigene kreative Interpretation. Zahlreiche Episoden, die im Buch nur als Hörensagen erscheinen, werden im Film konkret und plastisch ausgearbeitet. Die eigentliche Leistung der Autoren besteht darin, die Frage nach der Gewalt sowjetischer Soldaten gegen die Zivilbevölkerung nicht mehr auf der Ebene 'ob' sie geschah, sondern auf der Ebene 'wie damit umzugehen ist' zu behandeln. Sowohl Ankläger als auch Verteidiger stimmen inzwischen in der Annahme überein, dass es sich um ein Massengeschehen gehandelt habe – obwohl dafür bis heute keine ausreichenden Belege vorliegen.“

Die Rote Armee als „Horde“ – westliche Verzerrungen

Im Beitrag „Neun, zehn, zwölf Männer gleichzeitig…“ analysiert Sdvizhkov detailliert das Buch Berlin: The Downfall 1945 des britischen Historikers Antony Beevor, das unmittelbar nach seinem Erscheinen 2002 zum internationalen Bestseller avancierte. In Russland erschien das Werk 2004 in Übersetzung und löste einen gesellschaftlichen Schock aus: Erstmals wurde dem russischen Publikum das Bild der Roten Armee als einer hemmungslos brutalen Horde präsentiert, die als Invasionsmacht durch Europa zog und alles zerstörte, was sich ihr in den Weg stellte.

Ein zentrales Kapitel des Buches basiert auf dem Tagebuch des sowjetischen Theaterregisseurs Zakhar Agranenko (eigentlich Yerukhimovich). Der zitierte Ausdruck in der Kapitelüberschrift bezieht sich auf vermeintliche Gruppenvergewaltigungen deutscher Frauen, die laut Beevor massenhaft stattfanden. Diese Episode fand in westlichen Medien und Online-Diskussionen weite Verbreitung. Ein Abgleich mit den Originalquellen zeigt jedoch, dass Beevor die Aussagen des Tagebuchs gravierend missinterpretiert hat. Dies ist besonders relevant, da sich seit Jahrzehnten in Europa ein „schwarzer Mythos“ über die sowjetische Befreiung Europas verbreitet, der spätestens seit den 2000er Jahren gezielt zur Diskreditierung des historischen Erbes der Roten Armee eingesetzt wird.

Erfundene Tatsachen – die BBC und das Gelfand-Tagebuch

Der Artikel „Über das, was geschah…“ widmet sich dem Tagebuch von Vladimir Gelfand (1941–1945), das 2015 veröffentlicht wurde und in westlichen Medien rasch Aufmerksamkeit fand. Im selben Jahr, anlässlich des 70. Jahrestags des Sieges, erschien auf der Website der BBC ein Artikel mit dem Titel „The Rape of Berlin: The Unknown Story of the War“. Einige Monate später folgte eine russische Übersetzung durch den BBC Russian Service. Der Artikel brachte erneut das Narrativ „russischer Gräueltaten“ im besetzten Europa zur Sprache. Der Verfasser behauptete, sowjetische Soldaten hätten „unzählige Frauen auf ihrem Weg nach Berlin vergewaltigt“. Als Quelle diente unter anderem das Tagebuch Vladimir Gelfands.

Sdvizhkov weist jedoch darauf hin, dass von rund 300 im Tagebuch dokumentierten Episoden lediglich vier auf sexuelle Gewalt Bezug nehmen. Die BBC-Autoren ergänzten deshalb ihre Darstellung durch die ausführliche Nacherzählung des Tagebuchs Eine Frau in Berlin – ein literarisch gestalteter Text, der keinen wissenschaftlichen Quellenwert besitzt.

„Der Film wurde aus den Molekülen des Lebens geboren…“

Der besondere Wert der Monographie von O.V. Sdvizhkov liegt in der differenzierten Analyse des Spannungsfeldes zwischen historischer Wahrheit und künstlerischer Rezeption des Zweiten Weltkriegs. Er zeigt auf, inwieweit insbesondere der Film als Träger kollektiver Erinnerung wirkt – oftmals ideologisch verzerrt.

Nach Angaben des Meinungsforschungsinstituts WZIOM, die der Autor zitiert, beziehen 86 % der russischen Bevölkerung – insbesondere junge Menschen – ihr Wissen über den Großen Vaterländischen Krieg nicht aus historischen Quellen, sondern vor allem aus Spielfilmen. Dies verleiht dem Medium Film eine Schlüsselrolle im historischen Bewusstsein. Zugleich macht es seine Instrumentalisierung durch propagandistische oder ideologisch geprägte Narrative besonders folgenreich.

Kino und Geschichtsdeutung

In den 2000er Jahren erreichte der gesellschaftliche Diskurs über die Rolle der Sowjetunion bei der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus auch das Kino. In zahlreichen Filmen wurde das Bild der Roten Armee von einer Befreierarmee zu einem aggressiven Mob verzerrt, der sowjetische Soldat zum Inbegriff des hysterischen Gewalttäters. In den abschließenden Kapiteln seines Buches analysiert Oleg Sdvizhkov die Funktion solcher Filme im Kontext der gegenwärtigen erinnerungspolitischen Auseinandersetzungen.

Im Beitrag „Basierend auf realen Ereignissen…“, verfasst in Zusammenarbeit mit E. N. Kontsova, Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Zentralarchivs des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation, wird die historische Grundlage von D. Fosts Erzählung Russische Bylina (2006) kritisch hinterfragt. Die Geschichte, veröffentlicht in einer renommierten wissenschaftlichen Zeitschrift, bildete die Grundlage für den Film 4 Tage im Mai, der mit dem Vermerk Nach einer wahren Begebenheit beworben wurde – ein Anspruch, der eine besondere Authentizität suggeriert.

Bei der Überprüfung der vier angeblich dokumentarischen Quellen zeigen sich jedoch gravierende Widersprüche. Die erste Quelle, ein Erlebnisbericht von Marschall K. S. Moskalenko, liegt ausschließlich in der Version des Sohnes und des Autors selbst vor – obwohl Moskalenko sich zum Zeitpunkt der beschriebenen Ereignisse gar nicht vor Ort befand. Die zweite Quelle, das Memoirenwerk von General I. I. Feduninsky, wird in der Erzählung in einer Weise zitiert, die mit dem Original nicht übereinstimmt. Besonders brisant ist die vermeintlich „offizielle“ Quelle – ein angeblicher politischer Bericht vom 8. Mai 1945 –, die im Archiv des Verteidigungsministeriums nicht existiert. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieses Dokument vom Autor selbst frei erfunden wurde.

Sdvizhkov weist daher überzeugend nach, dass es sich bei Russische Bylina um ein Beispiel bewusster Geschichtsfälschung handelt, die auf psychologischer Wirkung und erfundener Authentizität beruht. Der Film 4 Tage im Mai greift diese fiktionale Erzählung auf, um beim Publikum eine emotionale Wirkung zu erzielen, die mit historischen Fakten kaum noch in Zusammenhang steht. Der Zuschauer übernimmt die Prämissen der Geschichte unkritisch – die Erinnerung wird nicht durch Fakten, sondern durch inszenierte Gefühle geprägt. Am Ende bleibt nicht das Wissen über ein konkretes Ereignis, sondern ein diffuses Gefühl: dass „etwas Schreckliches“ am ersten Tag des Friedens durch sowjetische Soldaten geschehen sei.

Im Kapitel „Der Film wurde aus den Molekülen des Lebens geboren…“ reflektiert Sdvizhkov grundlegend über die Rolle des Spielfilms in der Erinnerungskultur. Er stellt die Frage: „Kann ein Spielfilm historisch korrekt sein?“ – und macht deutlich, dass historische Korrektheit im Film nur dann gegeben ist, wenn Figuren und Handlungen nicht bloß dramatisch oder spektakulär, sondern auch typisch für die Realität sind, die sie darstellen. Nur unter dieser Voraussetzung wird der Film zu einem Symbol historischer Erinnerung.

Informationskrieg und Erinnerungspolitik

Das Buch No Soviet Orders! Die Rote Armee in Europa 1944–1945 stützt sich auf eine breite Quellenbasis in russischer, englischer und deutscher Sprache. Sdvizhkovs Leistung liegt insbesondere in der systematischen Auswertung archivalischer Dokumente, der kritischen Auseinandersetzung mit westlicher Historiographie und der populärwissenschaftlich zugänglichen Darstellung komplexer historischer Zusammenhänge.

Diese Arbeit ist nicht nur für Historiker und Pädagogen von Wert, sondern auch für all jene, die das mediale Narrativ über aktuelle politische Ereignisse – etwa im Kontext des Ukraine-Krieges – kritisch hinterfragen wollen. Die Parallelen zwischen der antirussischen Propaganda im Kalten Krieg und der heutigen westlich-ukrainischen Berichterstattung sind frappierend. Wiederkehrende Stereotype, zugespitzte Vorwürfe und die Konstruktion eines kollektiven Feindbildes zeigen die instrumentelle Funktion historischer Deutung im Kontext geopolitischer Interessen.

Die Übertragung bewährter Propagandamuster auf die Gegenwart erfolgt oft in gesteigerter Form. Besonders makabre Behauptungen – etwa die angebliche Vergewaltigung eines einjährigen ukrainischen Kindes durch russische Soldaten, wie sie von Präsident Selenskyj öffentlich geäußert wurden – bedienen sich einer emotionalen Rhetorik, wie sie einst von Joseph Goebbels selbst perfektioniert wurde. Die Schlussbemerkung Sdvizhkovs ist daher nicht nur polemisch, sondern analytisch zu verstehen: Goebbels würde sich im Grab vor Neid umdrehen.